Togo
Autokratie, divide and rule und das Wohlwollen der grossen Geber des aid business
Der Kleinstaat in schmaler Nord-Süd-Erstreckung verdankt seine Form und seine Grenzen, wie so viele afrikanische Staaten, dem Zufall und kolonialer Willkür. Nicht wenige seiner Bürger nahmen und nehmen diese Grenzen kaum zur Kenntnis, denn hüben und drüben der Grenze zu Dahomey/Benin, Obervolta/Burkina Faso oder zu Ghana leben Leute mit gleicher Sprache und verwandter Kultur. Das Küstengebiet war zudem bereits früh in den transatlantischen Handel eingebunden.
Auf den Spuren deutscher Missionen und Handelshäuser nahm das Deutsche Reich ab 1884 das Gebiet mit einigen Schwierigkeiten in Besitz. Während der Süden bald durchgehend kolonisiert war, leisteten die Gesellschaften im mittleren und nördlichen Togo lange heftigen Widerstand. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde die Kolonie geteilt und fiel als Mandatsgebiet an Frankreich und Grossbritannien.
Kolonialgesellschaften auf der einen Seite, einheimische mittlere und kleine Produzenten auf der anderen produzierten Palmöl, Kautschuk, Kakao, Kaffee und Baumwolle für den Export. Togo galt in der deutschen Öffentlichkeit als Musterkolonie, weil die Verwaltung ab 1908 aus eigenen Mitteln der Kolonie finanziert wurde. Frankreich integrierte Togo vorerst in sein westafrikanisches Kolonialreich, musste sich dann allerdings doch an die Bedingungen des Mandatsauftrags halten.
Der Süden, seit dem 19. Jhdt. einer intensiven Missionierung ausgesetzt, veränderte sich sozial und wirtschaftlich sehr stark; der Norden wurde erst nach dem Zweiten Weltkrieg in die Entwicklung einbezogen und bekam schliesslich erst nach der Machtübernahme der (von Militärs aus dem Norden dominierten) Armee 1967 wirklich Unterstützung für seine Entwicklung. Als Ergebnis verstärkte sich die Nord-Süd-Migration. Zwischen 1925 und 1929 gründete die Verwaltung in den Bezirken Sokode und Atakpame über dreissig Kolonistendörfer und weitere folgten in den 1930er Jahren. Der Handel konzentrierte sich, soweit es die grossen französischen Gesellschaften wie SGGG (Société Générale du Golfe de Guinée) zuliessen, in den Händen der Libanesen und Yoruba (Nago). Franzosen etablierten sich als Gewerbetreibende und Transportunternehmer, wobei einander Libanesen und kleine französische Unternehmer Konkurrenz machten.
Die politische Ordnung zur Zeit der Mandatsverwaltung sah eine eingeschränkte Teilnahme der einheimischen Oberschicht an verschiedenen Gremien vor, wie die Ratsversammlungen der Notablen oder verschiedene Stadträte - doch auch hier gab es eine Ungleichentwicklung von Norden und Süden. Im Süden bildeten sich in den 1920er Jahren anglophile und germanophile Organisationen, denen die Franzosen 1936 einen Circle des Amitiés Francaises entgegen stellten, aus dem 1941 unter französischer Förderung die erste politische Partei entstand - CUT, Comité d'Unité Togolais. Unter den Mitgliedern des „Komitees der togoischen Einheit“ war auch Sylvanus Olympio; der spätere Präsident war geprägt durch seine angelsächsische Erziehung und (auch berufliche) Sozialisation.
Entkolonisierung und Unabhängigkeit waren einerseits geprägt durch die Forderung nach Errichtung eines „All-Ewe-Staates“ und die Frage von Wiedervereinigung oder getrennter Unabhängigkeit der beiden Togo, anderseits von der grundsätzlich verschiedenen sozialen Ausgangsposition im Norden wie im Süden. Ewe-Staat und Wiedervereinigung scheiterten; die Politiker des Südens blieben aber dominierend, trotz der Förderung der Franzosen für die politische Vertretung des Nordens (UCPN, Union des Chefs et des Populations du Nord).
Unter dem Druck der UNO begann sich die Entwicklung Richtung Unabhängigkeit schneller als in den übrigen Kolonien zu vollziehen. Die UNO beschloss 1955 eine Volksabstimmung betreffs des britisch verwalteten Mandatsgebietes. 1956 entschied sich Togoland mit knapper Mehrheit für einen Verbleib bei der Goldküste. Im September des gleichen Jahres wurde Togo von einem autonomen Territorium zu einer autonomen Republik, mit Nicolas Grunitzky vom PTP (Parti Togolais du Progrès), als Ministerpräsidenten. Togoland erreichte mit Ghana 1957 die politische Unabhängigkeit. Im gleichen Jahr ersuchten der Treuhänder Frankreich und Grunitzky als Vertreter Togos die UNO formell um die Aufhebung der Treuhandschaft im übrigen Mandatsgebiet. Bei den Wahlen 1958 gewann der CUT die Parlamentsmehrheit und die Regierungsführung ging an Sylvanus Olympio. Er führte mit 27.4.1960 Togo in die Unabhängigkeit.
Sylvanus Olympio versuchte eine Politik liberaler Handelstendenzen durchzusetzen. Der Staatsapparat sollte beschnitten werden und der Staat kaum lenkend in die Wirtschaft eingreifen. Mit diesen Massnahmen traf er zum einen die Mitglieder der Bürokratie und benachteiligte weiter den Norden, der Entwicklungsförderung und Schutzmassnahmen gebraucht hätte. 1962 verbot er die Oppositionsparteien. Anfang 1963 kam es zu einem Militärputsch und Olympio wurde auf der Flucht erschossen –der erste gewaltsame Regimewechsel im Afrika der „neuen Staaten“.
Die die Militärs unter Führung von Etienne Eyadema setzten eine Zivilregierung unter Grunitzky ein, die jedoch durch eine falsche Wirtschaftspolitik und Korruption ihr Prestige verspielte. Unter dem Druck oppositioneller Gruppen übernahm Eydema Anfang 1967 erneut die Macht im Staat.
In der Wirtschaft dominierte die Versorgung der Bevölkerung über Exporte. Die natürlichen Gegebenheiten garantierten eine ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit Grundnahrungsmitteln; Erdnüsse, Palmöl, Baumwolle, Kaffee und vor allem Kakao gingen in den Export. Dazu kam in den 1960er Jahren der Abbau von Phosphaten. Organisationen für Vermarktung und landwirtschaftliche Entwicklung sollten für Fortschritt sorgen. Korruption und Misswirtschaft verhinderten die erfolgreiche Durchsetzung des „Entwicklungsstaats“. Die bevorzugte Förderung des Nordens brachte einen gewissen Abbau der regionalen Ungleichheit, doch erwiesen sich die Investitionen im Norden als eher unproduktiv.
Der Übergang von Zivilpolitikern zu Militärs brachte auch eine Umschichtung nach regionalen Kriterien in den staatlichen Führungspositionen. Hatten bis dahin höchstens 30% der Posten einen Inhaber aus dem Norden gehabt, so besetzten jetzt Leute aus dem Norden 75% der wichtigen Positionen. 42% der Posten gingen allein an Kabye, an das Volk, aus dem Eyadema stammte. Die Gründung einer Einheitspartei (RPT, Rassemblement du Peuple Togolais) erweckte 1969 neue Erwartungen bei den zivilen Politikern. Sie blieben jedoch ohne Chancen, denn Eyadema liess sich durch geschickt in Szene gesetzte öffentliche Unterstützungserklärungen und eine Volksabstimmung in der Führungsposition bestätigen.
In den 1970er Jahren entwickelte sich Togo, nicht zuletzt aufgrund steigender Rohstoffpreise, recht gut, doch wurde die Verschlechterung der terms of trade immer deutlicher sichtbar, dazu kamen, wie es Eyadema selbst formulierte, „Unordnung, Anarchie, Verschwendung, Diebstahl, Unterschlagungen, Korruption, Vetternwirtschaft und Schlamperei“. Das zunehmend autoritäre Regime forderte kaum nochOpposition im Land selber heraus. Die Versuche Eyadema zu stürzen wurden vom Ausland her unternommen, vor allem von Ghana aus, wo Olympios Familie und zahlreiche seiner Anhänger leben, was die Repression weiter verstärkte.
Gegen Ende der 1980er Jahre verschärfte sich auch in Togo das politische Klima. Immer häufiger gingen jugendliche Arbeitslose, Schüler und Studenten auf die Strasse und demonstrierten gegen das versteinerte Regime. Im Sommer 1991 musste der Präsident zulassen, dass eine Nationalkonferenz eine Übergangsregierung unter Joseph Kokou Koffigoh installierte. Für den Herbst 1992 wurden eine neue Verfassung und Wahlen vorbereitet. Die „neue Welle der Demokratisierung“ hatte in Togo allerdings keinen Erfolg. Polizei und Armee reagierten scharf auf Streiks und andere Aktionen der Opposition. Es gab zahlreiche Todesopfer. Die Präsidentenwahlen 1993 wurden zur Farce; die Parlamentswahlen von 1994 gewann zwar die Opposition, doch der Präsident setzte die Regierung nach eigenem Gutdünken zusammen. Während mit Unterstützung Frankreichs und der Weltbank Togo seine Finanzen in Ordnung brachte und hielt, blieben Menschenrechtsverletzungen an der Tagesordnung und zahlreiche politische Flüchtlinge im Exil. Oppositionelle im Land hatten Angst und passten sich an.
Eyadema liess sich noch zweimal wiederwählen; seine Partei siegte in den Parlamentswahlen, was gleichermassen auf Behinderung und Repression durch die Regierung als auf den Boykott der Oppositionsparteien zurückzuführen war. Nach seinem Tod 2005 erzwangen Armee und Regierungspartei RPT die Nachfolge seines Sohnes Faure Gnassingbé und liessen diese in manipulierten Wahlen im April 2005 bestätigen.
Faure Gnassingbé gelang es, unterstützt von der Armee und angesichts einer zersplitterten Opposition, ebenso wie seinem Vater in den 1990er Jahren seine Gegner zu überrumpeln. Die Parlamentswahlen von 2007 wurden von der Gebergemeinschaft als relativ fair bewertet. In der Folge nahmen EU, USA und andere Geber ihre Zahlungen von Hilfe wieder auf, die sie 1993 eingestellt hatten. An der Politik des Präsidenten und der ihn unterstützenden Sicherheitskräfte änderte sich nichts. Die stärkste Oppositionspartei UFC (Union des Forces du Changement) spaltete sich, als Gilchrist Olympio nach den Präsidentenwahlen 2010 eine Koalition mit der Regierungspartei RPT (Rassemblement du Peuple Togolais) einging. Ein Umsturzversuch endete mit der Verurteilung von Offizieren aus dem Clan Eyadema; die „Wahrheitskommission“ beendete ihre Tätigkeit mit einem wirkungslosen Bericht; Proteste und Menschenrechtsverletzungen gingen weiter.
Aus internationaler Sicht war die Lage in Togo geprägt durch Korruption und Nepotismus; das Land war ein Umschlagplatz für Drogen und illegale Geschäfte geworden. Faure sicherte sich jedoch das Wohlwollen der Geber, durch geschickt arrangierte Massnahmen der Demokratisierung und seine Bereitschaft, bei regionalen UN-Missionen mitzuwirken. Aus RPT wurde UNIR (Union pour la République); eine Verfassungsreform führte zwar 2008 die von Eyadema aufgehobene einmalige Wiederwahl des Präsidenten ein; damit hat Faure, 2020 für seine 4. Amtsperiode wiedergewählt, die Möglichkeit bei der nächsten Wahl noch einmal anzutreten.
Togos Wirtschaft floriert; die OECD bewertete das Land 2019 und 2020 als bestes in Westafrika. China ist inzwischen zum wichtigsten Geber geworden und finanziert den Ausbau der Infrastruktur – aber auch den kostspieligen Präsidentenpalast, den noch Eyadema in Auftrag gegeben hat. Laut nationaler Statistik gehören allerdings 85% der Unternehmungen zum informellen Sektor; 53,5% der Bevölkerung lebten 2017 laut Weltbank unterhalb der Armutsgrenze, wobei dieser Anteil bei Frauen und ländlicher Bevölkerung noch weit höher ist.
Im Human Development Index 2019 liegt Togo auf Platz 167 (von 189 Staaten), im Corruption Perception Index auf Platz 130 von 198.
Angesichts der brutalen Gewalt, mit der Kritik und Protest im Land unterdrückt wird, bleibt der kritischen Minderheit nicht viel mehr als die Satire, um darauf zu antworten.
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In Togoactualité vom 2.11.2018 findet sich die unten stehendeKarikatur, die Togos Präsidenten Faure Gnassingbe als letzten übrig gebliebenen Despoten darstellt. In allen Nachbarstaaten Togos gab es bereits eine erfolgreiche Transition, doch das Regime in Lomé wehrte sich angesichts des Verfassungsreferendums und der Wahlen im Dezember 2018 mit gewaltsamen Mitteln gegen Kritiker und Opposition. „Décidément, plus rien ne semble stopper le pouvoir de Lomé dans son désir de se maintenir au pouvoir. Le régime togolais est visiblement décidé à s’engager dans une virée mortifère.“ (https://www.togoactualite.com/togo-la-trouille-sempare-du-systeme-faure-rpt-unir/, 3.11.2018)
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