Walter Schicho

A E F: AFRIQUE EQUATORIALE FRANCAIS

letzte Bearbeitung 20.11.2006

Der Entstehung von vier afrikanischen Staaten zwischen dem 5. Breitengrad südlich des Äquator und dem nördlichen Wendekreis geht eine gemeinsame Geschichte der kolonialen Besetzung durch Frankreich voraus. Eine gemeinsame politische Geschichte des Französischen Äquatorialafrika bedeutet jedoch längst nicht eine gemeinsame koloniale Erfahrung der Völker in einem Gebiet von etwas mehr als 3,3 Millionen km2. Es brachte auch keine gemeinsame regionale oder nationale Identität. Wenn etwas blieb vom kolonialen Erbe, dann die Ausrichtung nach Frankreich - und auch das ist heute nicht mehr gewiss.

Die Eroberung Zentralafrikas

1848 errichtete die französische Marine im Rahmen der Antisklavereibewegung einen Stützpunkt an der Ogowemündung, aus dem später die Stadt Libreville, ein Platz zur Ansiedlung befreiter Sklaven, wurde. Erste Vorstösse ins Innere durch de Brazza in den 1870er und 80er Jahren, verbunden mit dem Abschluss von Verträgen mit einheimischen Fürsten, schufen die Grundlagen für die Ansprüche auf zentralafrikanische Gebiete, die Frankreich beim Berliner Kongress 1884/85 erhob.
           
Das Vordringen entlang des Kongo und in den Raum nördlich davon erfolgte parallel zur Eroberung des westafrikanischen Hinterlands, des „französischen Sudan“. Zwischen 1880 und 1882 „erwarb“ Pierre Savorgnan de Brazza (1852 bis 1905) eine gute Million Quadratkilometer Land im Kongoraum. Der geborene Italiener (Castelgandolfo) und naturalisierte Franzose stand im Dienste der französischen Marine, erhielt jedoch eher Unterstützung durch Privatgesellschaften als durch den Staat. Die Marine, die im Rahmen der Antisklavereibewegung in West- und Zentralafrika tätig gewesen war, wollte in den 1870er Jahren ihre zentralafrikanischen Stützpunkte bereits aufgeben und auch das Parlament in Paris war mehr daran interessiert, was in Ägypten vor sich ging, als an den Erwerbungen im weit abgelegenen Zentralafrika.
            1890 wurde Bangui, die Hauptstadt der heutigen Republik Zentralafrika errichtet. Ging es zuerst im Wettlauf der kolonialen Eroberung um die Abgrenzung gegenüber dem Kongofreistaat Leopold II., so berührten sich in der Folge französische und deutsche Interessen. 1894 wurden die Grenzen mit der deutschen Kolonie Kamerun festgelegt und damit war der Weg nach Norden offen. Schliesslich trafen 1898 drei militärische Expeditionen der Franzosen aus dem Norden, Westen und Süden kommend im Tschadseeraum zusammen, und griffen gemeinsam das letzte grössere Reich an, das sich der kolonialen Kontrolle widersetzte. Sein Herrscher Rabah fiel bei der Entscheidungsschlacht ebenso wie der französische Befehlshaber Major Lamy. Der politische Primärwiderstand war dadurch zwar noch nicht ganz gebrochen, die eroberten Ländereien aber dennoch weitgehend einer kolonialen Durchdringung - vor allem wirtschaftlicher Art - zugänglich.
            „Werfen wir einen Blick auf die Landkarte, so fällt sofort der kontinentale Charakter des französischen Länderblocks ins Auge. Hatte nicht Lord Salisbury 1890, nach der Festlegung der Grenze Nigerias, die Frankreich von den dichtbesiedelten Gebieten an der Nigermündung ausschloss, höhnisch erklärt, 'der gallische Hahn liebe es im Sand zu kratzen'? In der Tat wurde Französisch-West- und Äquatorialafrika zwar aus wesentlich handelspolitischen Motiven, aber von Armeeoffizieren mit landkriegerischen Methoden erobert. Das entspricht alten Traditionen französischer Kolonisation.“ (Ansprenger 1961:26f)
            Im Gegensatz zu Westafrika wurde die wirtschaftliche Ausnützung des AEF, in erster Linie des Kongo, nach dem Vorbild der benachbarten belgischen Besitzungen an Kolonialgesellschaften übertragen. Die Verwaltung blieb jedoch beim Staat und ging vom Marineministerium, das die koloniale Eroberung vollzogen hatte, auf das Parlament und dann auf ein eigenes Kolonialministerium über.
            Albertini beschreibt die Einstellung der französischen Politiker in der frühen Kolonialzeit als eine eher desinteressierte: „Die Regierungen hatten die Expansion teils gedeckt, teils gezielt vorangetrieben, Parlament und öffentliche Meinung jedoch waren, mit Ausnahme der im sogenannten Parti Colonial organisierten Wirtschaftsinteressen und der die Hafenstädte repräsentierenden Abgeordneten, zurückhaltend und oft sogar ablehnend geblieben - eine Haltung, die sich auch in der Folgezeit nicht wesentlich änderte. Zwar trat kaum mehr jemand für eine Aufgabe der Kolonien ein, und mit einigem Nachdruck wurde nun die 'mise en valeur' gefordert, aber nur beiläufig - vor allem dann, wenn das nationale Prestige in Frage stand - beschäftigte man sich mit den überseeischen Besitzungen. ... Spannungen zwischen Militärs und interessierten Wirtschaftsgruppen ... führten ... 1894 zu einem eigenen Kolonialministerium. ... Was jedoch nicht bedeutete, dass in der Folgezeit das Kolonialressort innerhalb der Kabinette und in der Karriere der Politiker hohes Ansehen genoss: Einige markante Persönlichkeiten der politischen Mitte und Rechten haben zwar das Amt eines Kolonialministers bekleidet, es aber mehr als Durchgangsstufe betrachtet und nur selten echtes Interesse am Geschehen in Übersee gezeigt.“ (Albertini 1976:273)

Die koloniale Raubwirtschaft

Bereits 1883 war Gabun einer eigenen, von Westafrika getrennten, Verwaltung unterstellt worden. Später wurde das Gebiet in zwei Zonen aufgeteilt und 1908 schliesslich die Bildung der vier Regionen Gabun, Mittelkongo, Ubangi und Tschad vollzogen, die in einer Verwaltungseinheit zusammengefasst, durch einen in Brazzaville regierenden Generalgouverneur verwaltet wurden. 1910 entstand schliesslich daraus die Föderation AEF.
           
Die Vorstellungen, die sich die Kolonialverwaltung von der Realisierung der Konzessionsverträge gemacht hatte, wurden nicht erfüllt. 1899 etwa wurden mehrere, über einen Zeitraum von 30 Jahre geltende, Verträge abgeschlossen und sollten eine Kolonisierung ohne Kosten für den Staat ermöglichen. Die Gesellschaften waren aber weder willens noch in der Lage die Aufschliessungs- und Verwaltungskosten für die Kolonien zu tragen. Sie umgingen die übernommenen Verpflichtungen und suchten nur eine möglichst rasche Ausbeutung in Form einer Raubwirtschaft. Mit Gewalt wurde das Sammeln von Kautschuk und die Rekrutierung der für den Transport notwendigen Träger erpresst. Eine Bezahlung erfolgte, wenn überhaupt, nach dem Gutdünken der Agenten, die sich auf „Mord, Raub, Diebstahl, Nahrungsentzug und Peitschenhiebe als Mittel“ verliessen - so die Aussage eines Kolonialbeamten (nach Albertini 1976:285). Als der Skandal ruchbar wurde, entsandte die französische Regierung eine Untersuchungskommission unter Leitung von de Brazza, die jedoch in ihrer Arbeit schwer behindert wurde. Brazza starb darüber und sein Bericht wurde nie veröffentlicht.

            In einem Brief schrieb de Brazza, drei Wochen vor seinem Tod im September 1905: „Sobald ich Brazzaville verliess, um nach Ubangi-Schari zu gehen, als ich damit also die Verbindung zu den anderen Inspektoren in Gabun und Mittelkongo verlor, hat die Obstruktion begonnen; unterirdische Arbeit, deren genauen Umfang ich noch nicht erkenne, wurde beim Kolonialministerium eingeleitet - mit dem Ziel meine Mission zu behindern. ... In Ubangi-Chari fand ich eine unmögliche Lage; man setzte schlicht und einfach die Vernichtung der Bevölkerung in Form von Requisitionen fort. ... Ich habe auch festgestellt, dass man zwar das Trägersystem mit grossem Lärm abgeschafft hat, dass aber die Eingeborenen dieser Region noch intensiver als früher zum Tragen herangezogen werden.” (nach Ansprenger 1961:25)
           
Erst nach 1909 kam es zu einigen Reformen, die zusammen mit dem wirtschaftlichen Scheitern der Kolonialgesellschaften ein Ende dieser ersten Wirtschaftsphase brachten. Die Methoden, mit denen die afrikanische Bevölkerung ausgeraubt wurde, kamen auch dann nicht völlig ausser Gebrauch. Unter anderen klagte André Gide Mitte der 1920er Jahre die unmenschliche Vorgangsweise von Agenten der Verwaltung und privater Betriebe im AEF an. So zitiert er aus privaten Aufzeichnungen: „In Bambio wurden am 8. September zehn Kautschuksammler .., die für die Compagnie Forestière arbeiteten, weil sie im Monat zuvor ihren Kautschuk nicht abgeliefert hatten (aber dieses Monat brachten sie die doppelte Sammelmenge, von 40 bis 50 kg) dazu verurteilt, rund um das Gebäude der Faktorei zu kreisen, unter glühender Sonne und mit sehr schweren Holzbalken auf den Schultern. Wenn sie zusammenbrachen, trieben sie die Wachen mit Peitschenhieben wieder auf. Dieser ‘Ball' begann um acht Uhr und dauerte, unter den Augen der Herren Pacha und Maudurier, Agent der Forestière, den ganzen Tag. Gegen elf brach einer aus Bagouma, genannt Malingué, zusammen und stand nicht mehr auf. Man benachrichtigte Monsieur Pacha, der bloss sagte: Ist mir scheissegal, und den ‘Ball' fortsetzen liess.“ Soweit die Aufzeichnungen und Gide setzt aus eigenem fort: „Monsieur Pacha liess hören, er hätte Schluss gemacht mit den Repressionsmassnahmen bei den Baya der Umgegend von Boda. Nach seiner Schätzung seien gut tausend Menschen beiderlei Geschlechts und aller Altersstufen getötet worden. Die eingesetzten Wachen seien verpflichtet gewesen, um ihre Kriegserfolge zu dokumentieren, dem Kommandanten die abgeschnittenen Ohren und Genitalien ihrer Opfer zu bringen; die Dörfer seien niedergebrannt, die Pflanzungen zerstört. Das Ganze hätte im Juli 1924 seinen Anfang genommen.“ (Gide 1927/28:98f. vgl. auch Allegret 1987)

Zu einer „nachhaltigeren“ Nutzung der Kolonien

In der Gier nach raschen Profiten hatten Staat wie Gesellschaften die Kapazität der kolonialen Besitzungen falsch eingeschätzt. Zwangsarbeit zum Ausbau der Infrastruktur und Raubwirtschaft, die sich auch über das Ende der Konzessionsverträge hinaus hielt, zerstörten die einheimische soziale und wirtschaftliche Struktur und dezimierten die Bevölkerung. Die Holzverwertung löste in den 1920er Jahren das Einziehen von Kautschuk und Elfenbein ab, doch auch dabei stellte sich „von neuem das Problem der Arbeitskräfte. Holzschlag und Transport waren arbeitsintensiv und lokal begrenzt. Die europäischen Firmen kauften zwar nicht mehr bloss wie vor dem Kriege das von den Afrikanern mühsam geschlagene und an die Flussläufe gelieferte Holz, sondern gingen zu eigenen Grossschlägen über, aber der Einsatz von Maschinen blieb bescheiden. Bedarf und Verschleiss an Arbeitskräften war gross, die Löhne gering, die sanitären Bedingungen prekär. In den von Rekrutierung und Migration betroffenen Regionen fehlten die Männer für den Anbau, die Geburtenzahlen gingen zurück, ganze Dörfer sind eingegangen.“ (Albertini 1976:286)

            Die Einbeziehung der afrikanischen Bevölkerung in die Geldwirtschaft, über Steuern und Lohnarbeit, brachte eine weitere Ausplünderung der Bevölkerung über den Handel. Importierte Güter verdrängten die lokale Produktion. Ein guter Teil des Geldeinkommens, soweit es nicht überhaupt durch Steuern aufgezehrt wurde, diente dem Erwerb überflüssiger Prestigegüter oder Konsumartikel (vor allem Alkohol). Die alten Werte erlebten eine rasche und massive Inflation.[1]

 

Eine zentralistische Kolonialpolitik

Entsprechend der politischen und administrativen Struktur der Metropole wurde auch der Kolonialbesitz zentralistisch verwaltet, wobei die grossen Distanzen den einzelnen Beamten weite Selbständigkeit im Rahmen ihrer Aufgaben möglich machten. Dem Generalgouverneur in Brazzaville unterstanden die Gouverneure der vier Regionen, diesen die Kreiskommandanten. Die Chefs de canton und Chefs du village als untere Stufe der Verwaltung wurden aus der Bevölkerung rekrutiert, wobei zumindest der Dorfchef einigermassen in der Tradition der Wahl oder Ernennung eines politischen Funktionärs stand, während der Kantonschef bereits total von der Administration abhängig und kontrolliert war, sehr oft aus einer anderen Region stammte und bereits zuvor als Soldat oder Kollaborateur der Kolonialverwaltung in das System integriert worden war.

            Es hing im Wesentlichen von der moralischen und administrativen Kapazität des einzelnen Funktionärs ab, was er aus seiner Position machte, wobei die von oben vorgegebenen Normen und Leistungen den Rahmen seiner Möglichkeiten bildeten. Machtgier und der Wunsch nach Reichtum konnten seine Tätigkeit ebenso prägen wie traditionelle Verbundenheit oder paternalistisches Wohlwollen gegenüber einer neu zu entwickelnden Gesellschaft. Frankreich sorgte dabei für eine zentrale Ausbildung seiner Kolonialbeamten,[2] aber auch dafür, dass sie sich nirgends besonders integrierten, was durch rasche Rotation verhindert wurde.
            Argumentation und Handeln der französischen Kolonialverwaltung war durch zwei Doktrinen bestimmt, die im Prinzip gegensätzlich waren, sich in der Praxis aber immer wieder verbinden liessen: Assimilation und Assoziation. Das Prinzip der Assimilation geht vom Gleichheitsgedanken aus, den vor allem die französische Revolution aufnahm, und der den Konvent nicht nur die Sklaverei aufheben, sondern auch den Beschluss fassen liess, „alle Menschen ohne Unterschied der Hautfarbe, die in den französischen Kolonien wohnen (sind) französische Bürger und erfreuen sich aller in der Verfassung garantierter Rechte“ (nach Ansprenger 1961:42) Für ein solches Bürgerrecht kamen allerdings nur die Einwohner der quatre communes in Senegal in Frage, denn sonst war Frankreich in Afrika noch nirgends als Kolonialmacht präsent. Die Länder des AEF kamen erst unter französische Kontrolle, als die Prinzipien der französischen Revolution bereits wieder Geschichte waren und die Kolonialpolitik mehr vom Prinzip der „Assoziation“ gelenkt wurde. Diese Form des Paternalismus propagierte von einer evolutionistischen Grundlage her die Verschiedenheit von Rassen und Völkern und sprach der “überlegenen” Gruppe der Kolonisatoren das Recht auf die Herrschaft über die Kolonisierten zu. Nicht “Gleichheit” (geschweige denn “Freiheit” und “Brüderlichkeit”) war hier das Ziel der Entwicklung, sondern eine wohl abgestufte Gesellschaft, in der dem Afrikaner sein Platz unten in der Hierarchie zugewiesen war, und eine „Kompensation der gegenseitigen Dienstleistungen“.[3] In diesem Modell bestimmten der Kolonisator und seine Ziele Richtung und Geschwindigkeit der sozioökonomischen Entwicklung, und der Kolonisator tat dies natürlich in einer Weise, die seine Vorherrschaft nicht infrage stellte.
            In den Ländern des AEF hatte die Raubwirtschaft der Kolonialgesellschaften tiefgreifende Veränderungen bewirkt, ebenso das gelegentlich nicht weniger harte Vorgehen der Administration, die gezwungen war sich aus dem Land zu finanzieren und ihre Projekte, anfangs in erster Linie den Ausbau der Infrastruktur, weitgehend ohne Zuschüsse aus dem Mutterland zu realisieren. Trägerdienste, Zwangsarbeit, Steuern und Requisition von Produkten kosteten der traditionellen Gesellschaft viel Substanz und zerstörten ihre Grundlagen weitgehend. Damit wurde sowohl dem Primärwiderstand gegen die Kolonisierung der Boden entzogen, als auch die Bildung einer kolonisierten Gesellschaft ermöglicht, in der die Bauern entweder als Reservoir für Lohnarbeiter oder als billige Produzenten von landwirtschaftlichen Exportprodukten (Baumwolle, Kaffee, Kakao) fungierten.
Ein kleiner Teil der Bevölkerung etablierte sich entweder als Mitarbeiter der Kolonialverwaltung oder als lokale Zwischenhändler und bildete den Kern einer europäisierten Zwischenschicht, die in Zusammenarbeit mit den Franzosen nach dem Zweiten Weltkrieg die politische Entwicklung in den einzelnen Ländern bestimmte.

 

Afrika und das „Freie Frankreich”

Als 1940, nach der Besetzung Frankreichs durch Nazideutschland, de Gaulle von London aus zum Widerstand gegen das Vichyregime des General Petain aufrief, kam die erste Reaktion darauf aus dem Tschad. Gouverneur Felix Eboué[4] erklärte seinen Anschluss an France Libre und de Gaulle[5] und in wenigen Tagen gingen auch Oubangi-Chari und Moyen-Congo zu ihm über. Libreville und damit Gabun, wurde erst drei Monate später, im November 1940, besetzt. Zu diesem Zeitpunkt fungierte Brazzaville als provisorische Hauptstadt des Freien Frankreich. Eboué wurde Generalgouverneur und versuchte in AEF eine neue Politik, die sich nach Art der indirect rule auf die traditionellen Autoritäten stützen, und in den neuen, den städtischen Gesellschaften, der Gruppe der evolués politische Verantwortung zusprechen sollte.
            “Die berühmte Verordnung Eboués vom 12. November 1940 betreffs die neue Eingeborenenpolitik im AEF befürwortete, getragen von den Erfahrungen eines 'administrateur de la brousse', eine neue Politik der Assoziation zwischen Frankreich und Schwarzafrika, auf der Grundlage einer Achtung der afrikanische Traditionen und Religionen und der Einbeziehung der Chefs und der lokalen politischen Institutionen in die Verwaltung des Landes. Diese Vorschläge sind beträchtlich verschieden von der Politik der Assimilation, die anlässlich der Konferenz von Brazzaville befürwortet wurde.
            Dank Felix Eboué wurden rein afrikanische Gemeindeverwaltungen in Brazzaville geschaffen (Poto Poto und Bacongo),[6] deren Gemeinderat, für zwei Jahre vom 'chef du territoire' ernannt, einige budgetäre Entscheidungen treffen konnte, über die sonst nur beratende Funktion in den die Gemeinde betreffenden Fragen hinsichtlich Steuern, Abgaben und Öffentliche Arbeiten hinaus. 1943 wurden rein afrikanische Gerichte zusammengestellt, die sich mit Fällen des Zivil- und Handelsrechts befassten.”
(Cornevin 1986:458)
            Die Reaktion (und die Begeisterung) von Seiten der Betroffenen hielt sich allerdings in Grenzen. Die rund 5.000 évolués hatten sich mehr erwartet von ihrer Hingabe an Frankreich. Die traditionellen Chefs waren mit ihrer Rolle bis dahin zufrieden gewesen, gab es doch keine Konkurrenz für sie. Die grosse Masse der Bevölkerung erreichte die Information über die politische Veränderung und die Auswirkungen dieser Reform nicht.
            Vom 30.1. bis 8.2.1944 tagte die Konferenz von Brazzaville, an der neben de Gaulle vor allem die Gouverneure der befreiten französischen Territorien teilnahmen. Die Versammlung sprach von einer “fortschrittlichen Kolonialpolitik” der “einen und unteilbaren Republik”, doch wirkliche Veränderungen waren nicht geplant. Man hatte da recht deutliche Vorstellungen: “Die Zwecke des zivilisatorischen Werks, das Frankreich in seinen Kolonien vollbringt, schliessen jede Idee der Autonomie und jede Möglichkeit einer Entwicklung ausserhalb des imperialen französischen Blocks aus: Die eventuelle Errichtung des self-government in den Kolonien - selbst in ferner Zukunft - ist auszuschliessen.” Die Empfehlungen blieben vage: “Es ist wünschenswert, ja unerlässlich, dass die Kolonien in der kommenden verfassunggebenden Versammlung vertreten sind. Diese Repräsentation soll der Bedeutung der Kolonien in der französischen Gemeinschaft angemessen sein.” (nach Ansprenger 1961:61)

            Der Krieg und die damit verbundene Verlagerung wirtschaftlicher Schwerpunkte bzw. industrieller Produktion aus Europa nach Übersee hatten den Ländern des AEF eine neue Funktion gebracht, aber die steigenden Rohstoffpreise und die Ausweitung der Produktion brachten nur für eine Minderheit Gewinne. “Der Handel und die öffentlichen Kassen waren reich, nicht aber das Land. Der Lebendstandard der Eingeborenen sank. Man hatte Mühe, zu Weltmarktpreisen Erzeugnisse von anständiger Qualität zu liefern. Die anti-wirtschaftlichste und anti-sozialste der früheren Wirtschaftsformen von AEF, das Kautschuksammeln, lebte in weitem Umfang wieder auf.” (Henri Zieglé nach Ansprenger 1961:63)
            Wieder wurden, wie zu Zeiten der Raubwirtschaft, die Dörfer zur zwangsweisen Aufbringung von Produkten wie Kautschuk, Wachs oder Honig verpflichtet. Der Staat rekrutierte Soldaten[7] und, weil es an Transportmitteln fehlte, auch wieder Träger. Unter der “neuen Elite” erweckte der Niedergang weisser Überlegenheit und die Wiedergeburt Frankreichs in Afrika Hoffnung auf Emanzipation und politischen Aufstieg. Für die einfache Bevölkerung war das alles nur ein Schritt weiter in die Misere.

 

Weltgeltung für und mit Frankreich

Als 1945 Frankreich seine verfassunggebende Nationalversammlung wählte, befanden sich unter den 522 Mitgliedern auch 63 aus den Kolonien und Überseeterritorien.[8] Gewählt wurde dabei in zwei Klassen, wobei die erste Klasse den französischen Bürgern vorbehalten war, mit Ausnahme der Einwohner der “Vier Gemeinden” Senegals also zumeist Europäern. Da die erste Konstituente erfolglos blieb, wurde 1946 eine zweite gewählt. Das Interesse der afrikanischen Wähler an der neuen Entwicklung war relativ gross, wenn auch ihre Präsenz eher symbolisch war und ihre Vertreter bei weitem nicht das erreichen konnten, was sich die afrikanischen Eliten in der Begeisterung der Konferenz von Brazzaville vorgestellt hatten.
            Immerhin kam es zur Abschaffung der Zwangsarbeit - die loi Houphouët-Boigny vom 11.4.1946 - und zur Beseitigung der gesetzlichen Diskriminierung als Folge der Einteilung in citoyens und sujets. Weil nun aber nicht genau definiert war, was Zwangsarbeit meinte, überlebte sie in versteckter Form und auch die staatsbürgerliche Gleichstellung bedeutete wenig, weil sie sofort wieder eingeschränkt wurde. Durch die loi Lamine-Guèye vom 7.5.1946 wurden auch die bisherigen “Untertanen” französische Bürger. Wie wenig ernst dieser Schritt gemeint war, zeigte die Beibehaltung des Zweiklassenwahlrechts ausserhalb des AOF und die Weiterführung einer “gespaltenen” Rechtsprechung durch die Beibehaltung der traditionellen Gerichte. Das Zweiklassenwahlrecht[9] und die verschiedene Behandlung im privat- und strafrechtlichen Bereich, samt der de facto Differenzierung wie etwa in der Wirtschaft, sicherten die Fortsetzung der kolonialen Diskriminierung und erleichterten es einer kleinen einheimischen Elite, sich von der breiten Bevölkerung abzuheben.
            Die neue Verfassung sah zum einen Institutionen vor, innerhalb derer sich die Überseeterritorien, wie die meisten der Besitzungen jetzt hiessen, und die Metropole als gleichwertige Diskussionspartner gegenüber sassen. In Versailles tagte die Assemblée de l'Union Francaise, in der lokale Körperschaften aus beiden Teilen des Imperiums je 75 Abgeordnete entsendeten. Deren Tätigkeit zeitigte jedoch keine konkreten Veränderungen, zumindest nicht als Folge eigener Beschlüsse. Zum anderen gab es die Nationalversammlung und den Senat, in denen die TOM (Territoires d'Outre Mêr, die Überseeterritorien), nur durch eine Minderheit von Abgeordneten repräsentiert waren. AEF hatte in der ersten Periode 5 Abgeordnete zur Nationalversammlung, davon war einer Europäer, und 8 Senatoren. Letztere wurden auf dem Weg über die Territorialversammlungen, also durch die lokalen Parlamente in den einzelnen Ländern, gewählt. Ähnlich erfolgte auch die Beschickung der grands conseils für AOF und AEF.
            Mit der Schaffung einer Reihe von “Parlamenten” kam die Kolonialmacht den Ambitionen der “neuen Elite” entgegen, deren “strebsame” und “einsichtige” Elemente sie förderte,[10] deren “widerspenstige” sie massregelte und erzog und deren “unverbesserliche” sie ausmerzte. So kam es, dass sie alle das Reden lernten, und die meisten von ihnen auch, wie man das Mäntelchen nach dem Wind hängt.

 

Union Française und Entkolonisierung

Hatte sich auch die Verfassung und die politische Lage geändert, die Verwaltung war im Wesentlichen geblieben. Wie zuvor war sie zentralistisch und auf den Generalgouverneur, jetzt Hochkommissar, ausgerichtet. Unter diesen Umständen erschien es den aufstrebenden afrikanischen Politikern wenig interessant, in den Kolonien zu bleiben. Die führenden Persönlichkeiten übersiedelten also nach Paris, in die französischen Volksvertretung, und überliessen die lokale Politik ihren Zweiten. Die afrikanischen Spitzenpolitiker gingen in Paris Koalitionen mit Parteien der Metropole ein, die meist keine inhaltliche Grundlage hatten, sondern nach taktischen Gesichtspunkten geschlossen wurden, wobei die Regierungsbeteiligung und die Frontbildung im eigenen Territorium ausschlaggebend waren. Für die neuen Politiker war klar, dass die erreichten Positionen das Sprungbrett für eine spätere politische und wirtschaftliche Karriere im eigenen Land waren.

 

Die Wende zum Neokolonialismus

Zwischen 1946 und 1954 stand für Frankreich die Auseinandersetzung in Südostasien im Vordergrund. Nach Ho Chi Mins Sieg begann der Kolonialkrieg in Algerien - das übrige Afrika war dagegen ein Ort ohne Probleme, schien weitgehend kontrollierbar und war es tatsächlich auch. Bis nach dem Zweiten Weltkrieg waren Investitionen nur in bescheidenem Mass in die Kolonien geflossen. Der ergiebigste Wirtschaftsbereich war der Handel. Die Produktion vor allem landwirtschaftlicher Exportgüter erfolgte meist durch einheimische Produzenten, eine Industrieproduktion wurde durch die Wirtschaft der Metropole verhindert.
           
Nach 1945 schloss die geplante wirtschaftliche Entwicklung auch die Kolonien ein. Mit einem eigenen Entwicklungsfonds, FIDES,[11] wurde die Expansion der französischen Wirtschaft in den Kolonien gefördert, wobei mehr als die Hälfte der Gelder in den Ausbau der Infrastruktur flossen und speziell die Küstengebiete begünstigten. AEF erhielt dabei, verglichen mit AOF und Kamerun, recht wenig. Als Frankreich erkannte, dass es allein den wirtschaftlichen Ausbau nicht finanzieren konnte, wurde vermehrt auch nicht-französisches Kapital zugelassen, das vor allem in den Sektor Bergbau und Erdölgewinnung floss.
            „Die verstärkte Zusammenarbeit mit ausländischen Unternehmen stellte Frankreich gleichzeitig vor die Notwendigkeit, deren ökonomische Interessen, insbesondere eine im Vergleich zum Weltmarkt rentable Kapitalverwertung, und deren Perzeption der politischen Entwicklung in den betreffenden Gebieten zu berücksichtigen. Spätestens an diesem Punkt setzte dann eine Kosten-Nutzen-Überlegung über den Wert der politischen Souveränität über die Kolonien ein, der ursprünglich gerade in der Abschirmung der überseeischen Märkte vor der Konkurrenz anderer Industrieländer gesehen worden war. Die Kosten für die Kolonien wuchsen nach 1945 rapide, da der gestiegene Erwartungshorizont der afrikanischen Bevölkerung durch vermehrte Ausgaben im Bereich der sozio-ökonomischen Infrastruktur befriedigt werden musste. Diese Kosten, die zur immer schwieriger werdenden Stabilisierung der politischen Herrschaft über die Kolonien gesteigert werden mussten, fielen ausschliesslich zu Lasten Frankreichs, die Gewinne dagegen kamen ihm nur zu einem Teil zugute. Als Ausweg aus diesem Dilemma bot sich die Übertragung der politischen Souveränität an autochthone Eliten an, da auf diese Weise der Zwang entfiel, die Kolonialherrschaft durch sozialen und ökonomischen Fortschritt der Afrikaner zu legitimieren und die betroffene Bevölkerung von ihrer eigenen Führung u.U. weniger rasche Erfolge erwartete.“ (Ziemer 1978:47f)

            Es trafen sich somit die Interessen der Kolonialverwaltung und der “Eliten”. Auf der Verliererseite standen einerseits die traditionellen Autoritäten, die chefs, anderseits die französischen colons und die kleinen Gewerbetreibenden. Für die Massen der afrikanischen Bevölkerung veränderte sich wenig. Sie gingen in einem Prozess der Entkolonisierung, der bei gleichbleibendem System nur einen Wechsel der Führungsspitzen vornahm, leer aus und bezahlten für den Erhalt der politischen Unabhängigkeit mit der Verstärkung ihrer wirtschaftlichen Abhängigkeit.
            Sowohl chefs als auch colons schufen zwischen 1945 und 1955 eigene Standesvertretungen[12] ohne allerdings dadurch entscheidend in den Veränderungsprozess eingreifen zu können. Tonangebend waren neben der kolonialen Administration einige Politikerpersönlichkeiten aus den afrikanischen Territorien, die zur Legitimation ihrer politischen Macht Parteien bildeten und mit oft sehr traditionalistischen Methoden die Bevölkerung von ihrem Führungsanspruch überzeugten.[13]
            Der Verband des AEF stand dabei sehr stark im Schatten der Vorgänge in Westafrika, woher die dominierenden Persönlichkeiten der überregionalen Parteien stammten. Zu Felix Houphouët-Boignys RDA (Rassemblement Democratique Africain) gehörten u.a. Felix Tchicaya aus dem Kongo, Gabriel Lisette aus dem Tschad, später auch Leon Mba (Gabun) und Fulbert Youlou aus dem Kongo. 1951 vollzog Houphouët-Boigny den taktischen Wechsel von einem Bündnis mit den (bis Ende der 40er Jahre in der Regierung vertretenen Kommunisten) zu Mitterands Sozialisten und verliess damit gleichzeitig den Konfliktkurs mit der Kolonialregierung in der Elfenbeinküste, der seine Partei beinahe aufgerieben hätte. Die sozialistische Partei Frankreichs (SFIO, Section Francaise de l'International Ouvrière) gründete in Afrika eigene Sektionen, verlor aber schliesslich gegen den aus ihr hervorgegangenen MSA (Mouvement Socialiste Africain) unter Führung Senghors. Erfolge hatten die Sozialisten vor allem im Tschad und im Kongo, während sie in Westafrika gegen Ende der 1950er Jahre keine Rolle mehr spielten. Ausserhalb der afrikanischen Fraktionen standen der starke Mann in Ubangi-Chari (Zentralafrika) Abbe Barthelmy Boganda und sein Nachfolger David Dacko, die sich in Paris der christ-demokratischen, konservativen MRP (Mouvement Républicain Populaire) anschlossen.
            Ansprenger sieht die Situation in AEF noch krasser persönlichkeitsbezogen und dem europäischem Einfluss offen als in Westafrika: “Überblicken wir das politische Leben in AEF im Zusammenhang, so erscheint neben der allgemein afrikanischen Konzentration auf die eine Führerpersönlichkeit in jedem Land die Isolierung der Regionalparteien und ihre Stammesbezogenheit als deutlichstes Merkmal. Wenn in einem Territorium mehrere Persönlichkeiten und Parteien in annähernd gleicher Stärke um die Macht ringen, beweist das zunächst, dass hier der innere Zusammenhang noch nicht vollzogen ist. Aber kann man in den dünnbevölkerten, verkehrstechnisch kaum erschlossenen Gebieten, die in der Ausbildung intellektueller Kader um eine Generation hinter AOF zurück sind, etwas anderes erwarten? Bei näherem Hinblicken stellen wir fest, dass der Einfluss von Europäern in der Politik, in den Parteien, im Staatsapparat hier viel stärker ist als in Westafrika; oft handelt es sich dabei um untadelige Beamte und unentbehrliches Fachpersonal für das Funktionieren des Parlamentes und der Ministerien, bisweilen aber auch um weniger erfreuliche Repräsentanten eines Kolonialkapitalismus alten Stils. Diese Männer machen den Weg zur stärkeren Autonomie mit, weil sie sich vom Zurücktreten der in Paris zentralisierten staatlichen Verwaltung und der Unerfahrenheit der Afrikaner noch freiere Hand für ihre Geschäfte erhoffen.” (Ansprenger 1961:190)
            Gewerkschaften hatten in AEF, wo Mitte der 1950er Jahre weniger als 10% der Arbeiter organisiert waren, noch weniger politischen Einfluss als in Westafrika.

 

Eine Unabhängigkeit für, nicht von Frankreich

Formal, in verfassungsmässiger Hinsicht, wurde der Entkolonisierungsprozess vom Parlament in Paris bestimmt. Ausgehend von der Verfassung der 4. Republik aus 1946, über die Beseitigung der Zwangsarbeit und das Arbeitsgesetz von 1952[14] und die Kommunalreform bis zum Rahmengesetz (loi cadre)[15] von 1956, vollzog sich eine schrittweise Entmachtung der Generalgouverneure und ihres Apparates. Die anfangs beratenden Institutionen erhielten immer mehr Befugnisse, bis in den Rahmengesetzen die Verwaltung dezentralisiert wurde. Zugleich entstanden eigene Territorialregierungen und aus den Territorialversammlungen wurden echte Parlamente. Das allgemeine Wahlrecht wurde eingeführt und die separate Entwicklung der einzelnen Territorien innerhalb von AOF und AEF gefördert.
            Eine Reihe afrikanischer Politiker kritisierte die “Balkanisierung” Afrikas, die damit vollzogen wurde: Houphouët-Boigny begrüsste sie. Damit war der erste Schritt zu einer Eigenstaatlichkeit der Territorien getan, und die Massnahme gefiel umso mehr, wenn einer der zukünftigen Staaten wirtschaftlich gut gesichert war. Er brauchte dann nicht mehr sein Einkommen mit den ärmeren Nachbarterritorien zu teilen. Die Regierungen unter Führung eines Vice-President du conseil administratif verwalteten halbautonome Gebiete, hatten jedoch keinen Einfluss auf die Aussenpolitik, auf Währungsfragen, Polizei, Armee, Zoll, Rechtsprechung u.a.

            Die Territorialwahlen von 1957 waren die ersten ohne Zweiklassenwahlrecht und sonstige Einschränkungen - eine Öffnung, die ohne weiteres möglich war, denn zum einen waren die führenden Persönlichkeiten, zumeist in Übereinstimmung mit der Kolonialverwaltung, längst in sicherer Position, zum anderen gab eine rigorose Kontrolle der Wähler und des Wahlvorgangs viele Möglichkeiten einer Beeinflussung bzw. eines Wahlbetrugs.
            Die auf die Rahmengesetze folgende Diskussion um die Weiterentwicklung fand mit dem Sturz der Vierten Republik ein Ende. Im Juni 1958 übernahm de Gaulle die vom Parlament angebotene Aufgabe, eine neue Verfassung für Frankreich zu entwerfen. In den Überseeterritorien setzte damit endgültig die Diskussion um die Unabhängigkeit und die zukünftigen Beziehungen zu Frankreich ein. Das Modell der communauté, das de Gaulle anbot, sah eine Gemeinschaft autonomer Staaten vor, in der die wesentlichen Aufgaben den überregionalen Institutionen zukommen sollten.[16] Die Gemeinschaft sollte ein eigenes Parlament haben, allerdings mit geringer Kompetenz ausgestattet, und eine Regierung, bestehend aus den Premiers der einzelnen Teilstaaten. Das Modell liess den Mitgliedstaaten die Möglichkeit einer späteren Entscheidung für ein Ausscheiden aus der Gemeinschaft. Auf einer Reise durch Afrika versuchte de Gaulle selbst die Verantwortlichen von seinen Vorstellungen zu überzeugen. Er musste aber in den Verhandlungen einräumen, dass seine communauté nur ein vorläufiges Modell für eine andere, spätere Lösung sein könnte.
            Auf gewissermassen historischem Boden, in Brazzaville, formulierte de Gaulle öffentlich, was er von den noch französischen Kolonien wollte: “Wie viele Erinnerungen steigen an dieser historischen Stätte in meinem Geist, in meinem Herzen auf! ... Alle diese Erinnerungen und diese Bewegung verpflichten mich, heute vor euch allen so klar und gleichzeitig so brüderlich zu sprechen wie nur möglich. / ... Niemals blickte Frankreich mit grösserem Stolz auf das Werk, das es in Afrika vollbracht hat ... Warum sollte Frankreich sein Werk in Afrika verleugnen? Es trotzt gewissen demagogischen Reden, hinter denen sich nur verschiedene Imperialismen verbergen. Frankreich verleugnet sein Werk nicht und ist bereit, es heute unter völlig neuen Bedingungen weiterzuführen, die von der Evolution der Völker und der allgemeinen Bewegung der Welt bestimmt werden.
            Welche Bedingungen? Ich nenne zwei. Die erste: es ist natürlich und legitim, dass die afrikanischen Völker auf eine politische Stufe gelangen, wo sie die gesamte Verantwortung für ihre inneren Angelegenheiten tragen werden ... Das zweite Prinzip drängt sich allen vernünftigen Menschen auf: In einer Welt, wie sie nun einmal ist, ist es nötig, dass grosse wirtschaftliche, politische und kulturelle Verbände und bei Bedarf grosse Verteidigungsverbände entstehen. ... welches Projekt bietet sich der freien und gewissenhaften Entscheidung aller Bürger an? Das Projekt der Communauté. ...
            Diese Gemeinschaft werde ich allen Einzelnen und allen Verbänden vorschlagen. Man sagt: Wir haben ein Recht auf Unabhängigkeit. Aber gewiss, ja. Übrigens - jeder, der die Unabhängigkeit will, kann sie nehmen, sofort. Das Mutterland wird sich nicht widersetzen. ... Das wird bedeuten, dass es seinen Weg selbst fortsetzen will, isoliert, auf eigene Rechnung und Gefahr. Mit einem Wort: es wählt die Sezession. Das Mutterland wird die Konsequenzen ziehen, und ich garantiere, es wird sich nicht widersetzen. ...
            Ich habe gesprochen. Ihr habt mich gehört. Die Afrikaner werden wählen ... Von ganzer Seele wünsche ich, dass sie wählen, was ich vorschlage. Ich wünsche es um ihretwillen ... und ich wünsche es um Frankreichs willen; denn sein Werk muss fortgesetzt werden, und wenn Frankreich das wollen soll trotz aller Lasten, dann muss es sich durch die Sympathie und Freundschaft derer gerufen fühlen, die in Afrika leben.”
(nach Ansprenger 1961:477f)

            Von all den Betroffenen formulierte Sekou Toure für Guinea am deutlichsten die Ablehnung. De Gaulle, frustriert, drohte unverhohlen, mit Formulierungen nicht viel anders als in der Rede von Brazzaville: “Die Unabhängigkeit steht Guinea zur Verfügung. Es kann sie nehmen. Es kann sie am 28. September nehmen, indem es nein sagt ... Ich garantiere, dass sich das Mutterland nicht widersetzen wird. Es wird natürlich die Konsequenzen ziehen, aber es wird sich nicht widersetzen und Ihr Territorium kann dann, wie es das wünscht, unter den Bedingungen, die es wünscht, den Weg gehen, den es wünscht.” (nach Ansprenger 1961:276)
            Die politische Führung in AEF sagte einmütig Ja zu de Gaulles Vorschlag. Im Anschluss daran erklärten sich die Territorien zu Republiken und arbeiteten ihre eigene Verfassung aus, die sich im Wesentlichen eng an de Gaulles Präsidialverfassung hielt. De Gaulle selbst wurde im Dezember 1958 durch Wahlmänner zum Präsidenten der französischen Republik und der Communauté gewählt.
            Die Communauté hatte zwar nur ein kurzes Leben. Aber der enge Zusammenhang zwischen den frankophonen Afrikastaaten und ihrer ex-Metropole, der bis heute besteht, zeigt das Besondere an der französischen Entkolonisierung, die einerseits weitgehend reibungslos über die Bühne ging, anderseits koloniale Abhängigkeit nahtlos in eine massive neokoloniale Kontrolle überführte.
            Wenn die Krise der 1990er Jahre, die u.a. eine Ablösung der neokolonialen Spitzenmacht Frankreich durch die USA brachte, gerade im frankophonen Zentralafrika so heftig ausbrach, dann hatte das sicherlich auch mit dem intensiven Einfluss zu tun, der Frankreichs Präsenz in diesem Raum vor allen anderen kolonialen Räumen auszeichnete.

 


[1] Brautgabe, Arbeitsäquivalent in kooperativer Tätigkeit u.a.

[2] Die 1888 gegründete “Ecole Coloniale” in Paris wurde in der Zwischenkriegszeit zur “Ecole Nationale de la France d'Outre-Mêr” und schliesslich zum “Institut des Hautes Etudes d'Outre-Mêr”.

[3] Harmand, Jules. 1910. Domination et colonisation. Paris:

[4] 1885 - 1944. Der farbige Franzose aus Cayenne, Absolvent der ENFOM, brachte es in seiner Karriere als Kolonialbeamter bis zum Generalgouverneur des AEF. De Gaulle beschrieb ihn in seinen Memoiren: “Dieser intelligente und charaktervolle Mann, dieser Schwarze und begeisterte Franzose, dieser humanistische Philanthrop ..” (nach Ansprenger 1961:54) Wäre er, wie vor ihm Rene Maran von den Antillen, statt “begeisterter Franzose” “begeisterter Schwarzer” und weniger Paternalist gewesen, hätte man ihm wie jenem schon längst den Abschied als Kolonialbeamter verpasst gehabt.

[5] Eboué trat damit auch in persönlicher Hinsicht eine Flucht nach vorne an, denn nach den Plänen der Vichyregierung sollte ganz AEF eine einheitliche Kolonie werden. Eboué wäre zugleich abgelöst worden. (vgl. Lanne 1986:442)

[6] “Eingeborenenviertel”, “cités indigènes”, für deren Absonderung von den mehrheitlich von Weissen bewohnten Vierteln mehr als nur der Wunsch nach Förderung einheimischer Selbstverwaltung sprach.

[7] Rund 100.000 Afrikaner kämpften an der Seite der Franzosen in De Gaulles Armee, in die die Aliierten allerdings oft wenig Vertrauen setzten.

[8] Vgl. dazu Isoart 1986, in: Ageron (ed.) 1986.

[9] Seine sofortige Abschaffung hatten die afrikanischen Nationalisten nur für die Wahlen zum französischen Parlament in AOF durchgesetzt.

[10] Die jungen Politiker hatten mal einen hohen Beamten, mal einen Missionar, einen weissen Wirtschaftstreibenden, Zeitungsmacher oder Gewerkschafter zum Mentor, der sie für Ämter oder Kandidaturen vorschlug, ihre Reisen finanzierte und ihnen oft genug auch vorschrieb (im doppelten Sinn des Wortes), was sie zu sagen hatten.

[11]Fonds d'Investissement pour le Développement Economique et Sociale”. Frankreich wendete zwischen 1948 und 1958 rund 1,5% seines Nationaleinkommens für Entwicklungsländer auf, darunter den grössten Teil für die eigenen Besitzungen. (vgl. Ansprenger 1961:103ff)

[12]Les Etats Généraux de la Colonisation Francaise” und die “Union Fédérale des Syndicats des Chefs coutumiers de l'AOF”, das “Syndikat der Häuptlinge”, (wie es Ansprenger formulierte). Vgl. dazu Ansprenger 1961:69ff, 117ff.

[13] Obschon der Rückgriff auf pseudo-traditionelle Symbole und überkommene Abhängigkeiten eher die Zeit der Unabhängigkeit charakterisiert, nutzte die politische Elite bereits in der Phase der Entkolonisierung noch vorhandene Reste kultureller und sozialer Institutionen und bediente sich dazu der im Rahmen des Kolonialismus neu interpretierten Identität afrikanischer Nationen, des “Tribalismus”.

[14] Mit dem “Code du Travail” wurde eine Annährung des Arbeitsrechts, inklusive des Gewerkschaftsrechts, an das der Metropole vollzogen: Arbeitszeit, Entlohnung, Sozialleistungen. In vielen Fällen hielten sich die Arbeitgeber aber nicht an die Bestimmungen des Gesetzes, sodass es immer wieder zu Klagen und Streiks kam. In der Mehrzahl der Fälle waren die Betroffenen dem jeweiligen Patron aber zu sehr ausgeliefert, bzw. kannten ihre Rechte zu wenig, als dass sie sich hätten zur Wehr gesetzt.

[15] Das Gesetz gab, um die Anpassung der Bestimmungen an die soziopolitische Entwicklung zu beschleunigen, der Regierung Vollmacht die Kolonialverfassung durch Dekrete zu ändern - deshalb “Rahmengesetz”.

[16] Aussenpolitik, Verteidigung, Finanzen, Wirtschaftspolitik, Politik der strategisch wichtigen Rohstoffe - keine Frage, dass damit die Fortsetzung der direkten Kontrolle durch die Metropole gesichert war.