Zentralafrikanische Republik

« Les forces coloniales devenues multilatérales continuent, elles, de peupler, indifférentes, les nuits d’un pays où l’espérance de vie se négocie au prix des silences les plus coupables. »

Branco, Juan. 2018. Centrafrique, la déroute des Nations unies. In: Le Monde Diplomatique, Septembre 2018, p. 17.

 

Die Zentralafrikanische Republik ist ein Binnenstaat, im „Herzen Afrikas“, am Übergang von den offenen Savannengebieten zur Waldzone; das Land ist verkehrsmässig vor allem über die Flüsse zum Kongo hin aufgeschlossen, was auch für die koloniale Benennung des Territoriums massgeblich war: „Oubangi-Chari“. Der Siedlungsraum, den der heutige Staat umfasst, ist mit rund 617.000 km2 grösser als die Iberische Halbinsel, die Einwohnerzahl jedoch, knapp 6 Millionen im Jahr 2020 kleiner von Madrid (6,6 Mio.). In vorkolonialer Zeit wurde ein Teil des Territoriums durch den Staat der Zande und durch islamische Feudalreiche im Tchadseegebiet beherrscht. Der Rest gliederte sich in kleine politische Einheiten unterschiedlicher Struktur.

Wie andere zentralafrikanische Gebiete war Oubangi-Chari dem Raubkolonialismus der Handelsgesellschaften ausgeliefert, die an Brutalität die Sklavenjäger, die dem Kolonialismus vorausgegangen waren, bei Weitem übertrafen. Erst Ende der 1920er Jahre beendete die Erkenntnis, dass die Entvölkerung des Landes mittel- und langfristig jede kolonialwirtschaftliche Nutzung unmöglich machen würde, die Periode des „Raubkolonialismus“.

Neben den Kolonialgesellschaften, deren Zahl sich vor allem während der Wirtschaftskrise reduzierte, liessen sich Kolonialfranzosen (colons) nieder, die als Farmer, Händler und Gewerbetreibende tätig waren. Zwangsanbau von Baumwolle, aber auch der Abbau von Gold und Diamanten prägten die 1930er Jahre. In die Bildung und Modernisierung der Gesellschaften investierten die Franzosen wenig.

Die kolonialpolitische Struktur war deutlich geprägt durch die konservativ bis reaktionären colons; die kleine einheimische Elite, dementsprechend auch konservativ, entwickelte ihre politische Tätigkeit unter (paternaler) Kontrolle der Kolonialfranzosen. Typische Beispiele dafür sind sowohl Barthélmy Boganda, der die nationale Politik bis zur Unabhängigkeit bestimmte, wie der Unteroffizier Jean Bedel Bokassa, der sich selbst zum Kaiser von Zentralafrika beförderte.

Boganda lehnte in der spätkolonialen Phase wie Senghor in Senegal die „Balkanisierung Afrikas“ ab und strebte eine Unabhängigkeit des Landes im Rahmen einer Zentralafrikanischen Föderation an, die neben AEF auch das belgische und portugiesische Zentralafrika umfassen sollte; das Projekt scheiterte nicht zuletzt am Widerstand Gabuns (und seiner colons). Sein Nachfolger David Dacko führte die bereits begonnene Konzentration der politischen Macht auf den Staatschef weiter. Er beging allerdings den Fehler, seinen Armeechef Bokassa für „zu blöd für einen Staatsstreich“ einzustufen. Der Präsidialdiktatur folgte eine Militärdiktatur und dieser ein Kaiserreich. Das unappetitliche Ende des Kaiserreichs brachte keine klaren Verhältnisse und bis heute keine Demokratie, obwohl – oder gerade weil – seit Anfang der 1990er Jahre zahlreiche Parteien um die politische Macht streiten.

Wirtschaftlich war die die spätkoloniale Phase durch eine Zunahme des französischen Kapitals gekennzeichnet. Fünf grosse Firmen und etwa 120 kleine, lokale Unternehmen in französischer Hand dominierten die landwirtschaftliche Produktion, den Handel und den Transport sowie den Minensektor. Sie verfügten über die einschlägigen Lizenzen und schlossen nichtfranzösisches fremdes Kapital genau aus wie eine einheimische Wirtschaftsbeteiligung. Erst mit der „Vertreibung“ Frankreichs in den 1990er Jahren dürfte auch im Wirtschaftsbereich anglo-amerikanisches Kapital eingedrungen sein.

Während die Baumwollproduktion im ersten Jahrzehnt der Unabhängigkeit wertmässig nur leicht zunahm, stieg die Kaffeproduktion und vor allem der Export von Diamanten. Ihr Anteil an den Ausfuhren betrug aufgrund der Freigabe der Schürfrechte Mitte der 1960er Jahre 54%. Die Erschliessung der Holzvorräte und weiterer Bodenschätze brachten auch in diesen Bereichen eine Zunahme der Produktion. Was immer das Land unternahm, um seine Wirtschaft anzukurbeln, so erwiesen sich drei Faktoren als besonders hinderlich: die extreme Binnenlage, das Fehlen einer einheimischen Unternehmerschicht und die Bürokratenkaste, die den Staat im eigenen Interesse mehr schlecht als recht verwaltete.

Der Beamtenapparat war zunehmend nur noch durch Subventionen des französischen Staats zu finanzieren und französische coopérants nahmen die Schlüsselstellungen in der Verwaltung ein. Die Politik war, nachdem 1976 französische Truppen Bokassa zur Abdankung gezwungen hatten, durch ständige Eingriffe Frankreichs bestimmt. Autoritäre Regierungsführung und heftige Opposition bestimmten die Folgezeit. Forderung nach Demokratisierung veranlasste den Präsidenten und die Regierungspartei im August 1992 einen „Grand débat national“ einzuberufen. Das Schaustück wurde jedoch von der Bevölkerung und den Oppositionsparteien ignoriert und blieb folgenlos. Zahlreiche neue Parteien rund um die alten Politiker, garnierten die folgende politische Diskussion, aus der 1993 Wahlen resultierten. Die Destabilisierung des Landes setzte sich fort. Frankreich zog sich gegen Ende der 1990er Jahre erfolglos zurück und überliess das bankrotte und

durch Konflikte zerrissene Land einer internationalen „Friedenstruppe“.

Umgeben von Staaten, die ebenso durch innere Konflikte zerrissen wurden, wurde Zentralafrika nach 2000 zu einem Staat, in dem kaum noch etwas funktionierte. Die UN-Truppen wurden statt zu einer Lösung beizutragen vielmehr Teil des Problems.

Juan Branco berichtete 2018 in Le Monde Diplomatique: „Die internationale Mission [...] produziert immer häufiger Skandale. Die offiziellen Berichte legen Mängel offen, die Unfähigkeit die Bevölkerung zu beschützen und die mangelnde Ausbildung der Einsatzkräfte. [...] Soldaten verschiedener Nationen mussten das Land aufgrund von Waffenhandel, sexueller Übergriffe, Tötungsdelikte oder Pädophilie verlassen. [...] Die Experten der UNO lösen einander in rascher Folge ab. Sie erhalten 500 Dollar pro Tag und produzieren stereotype Berichte, die niemand liest, über ein Land, das sie niemals bereist haben.“

Verschiedene fremde Akteure werden im eigenen Interesse tätig. Frankreich teilt das Feld mit „NGOs, hinter denen sich der CIA versteckt und die den steigenden Einfluss russischer Söldner und chinesischer Wirtschaftsleute neutralisieren sollen. Frankreich, das im Sicherheitsrat afrikanische Angelegenheiten koordiniert, hatte seltsamerweise nichts dagegen, Russland eine Ausnahme vom Waffenembargo zu genehmigen, das seit Beginn des Bürgerkriegs besteht. […] im einzigen Luxushotel der Stadt werden Agenten der amerikanischen Söldnerorganisation Blackwater gesichtet.“

Zur Lage der Bevölkerung schrieb Bianca Blei im März 2019 im Standard: „Laut Schätzungen der Vereinten Nationen benötigen bis zu 2,1 Millionen der 5,7 Millionen Zentralafrikaner humanitäre Hilfe. 62 Prozent der Bevölkerung leben unter der Armutsgrenze. Noch immer sind mehr als 620.000 Menschen innerhalb des Landes auf der Flucht. Zu wenig, um die Augen der Welt wieder auf das Leid zu richten“.

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