Walter Schicho

Frantz Fanon

 

FF als Leitfigur revolutionärer Bewegungen

 

Der frühverstorbene Arzt und Psychiater FF wurde durch seine Schriften, aber auch durch seinen Einsatz im Kampf für die Unabhängigkeit Algeriens zu einer Leitfigur revolutionärer Bewegungen und fortschrittlicher Gruppen in Afrika und Europa.

Er war mehr als nur ein „Theoretiker der Revolution“, zu dem ihn die Zeitgenossen wie die Nachfahren stempelten; er war vor allem ein Impulsgeber, einer, der Missstände aufzeigte, physische und psychische Zustände transparent machte und dadurch bewusstseinsbildend wirkte. Vor allem aus der heutigen Sicht, aus dem Wissen um die schwere Zerrüttung der algerischen Gesellschaft, müssen wir uns fragen, ob nicht eine weit ausführlichere Auseinandersetzung mit der gesellschaftlichen Gewalt, die Algerien seit 1830 mit wechselnder Intensität heimsuchte, notwendig gewesen wäre um die soziale Agonie zu verhindert, in der sich das Land heute befindet.
Fanons Reden und Schriften sind nicht immer widerspruchsfrei und stiessen mit fortschreitender Zeit auch auf Kritik aus dem linken Lager (siehe Bourgi/Williams 1973), doch ist ihre Wirksamkeit bis heute spürbar. Leider blieb ihre Rezeption auf den sogenannten fortschrittlichen Teil der internationalen und algerischen Gemeinschaft beschränkt und zeichnet sich wie viele intellektuelle Ansätze, die eng mit politischem und sozialem Engagement verbunden sind, häufig durch Oberflächlichkeit und krasse Naivität aus. Die Gegner wiederum sahen Fanon vor allem als „Theoretiker und Propagandist der Gewalt“ und lehnten deshalb seine sozial-psychologischen Ansätze pauschal ab.
Im deutschen Sprachraum wurde FF erst nach der weitgehenden Entkolonisierung Ende der 60er Jahre bekannt, zur gleichen Zeit etwa als man begann den Befreiungskampf in den portugiesischen Überseeterritorien wahrzunehmen. Dabei wurde und wird ähnlich wie auch im englischsprachigen Raum der Fanon von Peau noire, masques blancs von einer Gruppe, Les damnés de la terre von einer anderen rezipiert.
Heute wird Fanon zuerst im amerikanischen, dann im deutschen Sprachraum vor allem als „Kulturkritiker“ oder als Essayist wahrgenommen, „ein prominenter Schreiber im Bereich der postcolonial studies“. Die Philosophen und Literaturwissenschaftler nehmen sich seiner an; Isaac Julien drehte 1996 einen Film über sein Leben, unter Verwendung dokumentarischen Materials. Aus der Sicht der afrikanischen Diaspora und der zweiten und dritten Generation von afrikanischen Migranten ist Fanon in erster Linie der Autor von „Schwarze Haut, weisse Maske“. Die Revolution der Kolonisierten interessiert heute nur noch wenige.

Kurze Biographie FFs

FF wurde 1925 in Fort-de-France, Martinique, geboren, als Sohn eines Zollbeamten und einer Elsässerin. 1943, nach dem Abschluss der höheren Schule und der Befreiung Martiniques von den Petainisten trat er in die Armee des "France libre" ein und kämpfte in Einheiten zusammen mit afrikanischen Soldaten in Marokko, Algerien und Frankreich.
1945 wurde er verwundet. Nach der Rückkehr nach Martinique unter­stützte er Aimée Cesaire, seinen früheren Lehrer, im Wahlkampf von 1946. Er blieb Cesaire bis 1958 verbunden, lehnte ihn jedoch dann wegen dessen Einschwenkens auf eine profranzösische Linie - bei der Abstimmung von 1958: optierte Martinique für eine Integration ins „Mutterland“ - ab.
1947 ging FF wieder nach Frankreich und begann ein Studium der Medizin und Psychologie an der Universität Lyon. Er beteiligte sich an der Herausgabe einer Zeitschrift schwarzer Studenten - Tomtom - und bekam bald auch Anschluss an den Kreis der Présence Africaine, über den er auch mit Sartre in Verbindung trat.
1952 schloss er sein Studium ab und veröffentlichte sein erstes Buch, Peau noire, masques blancs, in dem er von der Position des Psychiaters, aber auch des Betroffenen, die Beziehung zwischen Schwarzen und Weissen zu analysieren suchte. Hier, wie in seinen folgenden, zunehmend politisch orientierten Arbeiten bis zu seinem letzten Werk Les damnés de la terre (Die Verdammten dieser Erde) (1961) beschrieb er analytisch Zustände, Handlungen, von Einzelnen und von Gruppen. Mit der Offen­legung krankhafter Formen menschlicher Verhaltensformen und deren Wurzeln war für den Psychiater FF der erste notwendige Schritt für eine Veränderung, eine Besserung der Zustände gesetzt.

Nach seinem Abschluss arbeitet FF in psychiatrischen Abteilungen französischer Spitäler. Ergebnis seiner Konfrontation mit nordafrikanischen Patienten war nicht nur ein Artikel in der Zeitschrift l’Esprit (le syndrome nord‑africaine, 1952), sondern auch seine Bewerbung um die Leitung der psychiatrischen Abteilung des Spitals in Blida‑Joinville/Algerien. Mit seiner französischen Frau Marie-Josephe („Josie“), die er 1952 geheiratet hatte, übersiedelte er im November 1953 nach Blida und arbeitet dort drei Jahre lang unter schwierigen Bedingungen.
Schlechte Ausrüstung, veraltete Behandlungsmethoden und Überbelag kennzeichneten die Situation. Als Schüler und Mitarbeiter Prof. Tosquelles in Saint Alban hatte FF gelernt in besonderem Masse die Umgebung des psychisch Kranken in Behandlung und Heilung mit einzubeziehen. Die Übertragung von in Frankreich üblichen Methoden schlug fehl und so musste er mit der Entwicklung neuer, angepasster Therapien beginnen.

Das Verhältnis zwischen Kolonisator und Kolonisierten verschlechterte sich in diesen Jahren zunehmend und führte zum Ausbruch der algerischen Revolution.
Revolution und Repression kennzeichneten die das öffentliche und private Leben der Menschen in Algerien und waren wesentlich am Entstehen und an der Verschärfung von Geisteskrankheiten beteiligt. Gewalt und Unterdrückung betraf in erster Linie die Kolonisierten und veränderte ihre physische und psychische Lage; sie führte allerdings auch zu mentalen Beschädigungen bei jenen, die als Kolonisatoren Gewalt übten oder duldeten, dass Unterdrückung geschah.
Das Ende der kolonialen Herrschaft war für beide Seiten eine Voraussetzung für die Lösung der Probleme und einen individuellen oder kollektiven Heilungsprozess. 40 Jahre nach der Unabhängigkeit Algeriens steht allerdings fest, dass die Entkolonisierung nicht die erhoffte Besserung brachte.

1956 entschied sich FF dafür seinen Posten niederzulegen. In einem Brief an den Generalresidenten in Algerien führte FF seine Gründe für die Demission an:
"Obwohl die objektiven Bedingungen einer psychiatrischen Praxis in Algerien bereits jedem gesunden Menschenverstand Hohn sprachen, schien es mir notwendig, alle Anstrengungen zu unternehmen, ein System zu verbessern dessen doktrinäre Basis vollständig gegen eine wahrhaft menschliche Perspektive gerichtet war. Während dreier Jahre habe ich mich vollständig dem Dienst an diesem Land und seinen Bewohnern zur Verfügung gestellt. Ich habe weder meinen Einsatz noch meinen Enthusiasmus gezügelt. Aber was können Enthusiasmus und Sorge um den Nächsten, wenn der Alltag aus Lügen, Nachlässigkeit, Menschenverachtung besteht?
Was sollen gute Absichten, wenn ihre Verwirklichung durch Armut des Herzens, Gedankenarmut, Hass gegen die Einheimischen verhindert wird? Geisteskrankheit ist einer der Wege, auf denen der Mensch seine Freiheit verliert. Und ich muss sagen, dass ich von meiner Position aus mit Schrecken das Ausmass der geistigen Störungen der Bewohner dieses Landes erkannt habe. Wenn die Psychiatrie jene Form der Medizin ist, die es ermöglicht den Menschen wieder in seine Umwelt einzugliedern, dann bin ich es mir schuldig festzustellen, dass der Araber, in seinem eigenen Land total rechtlos, in einem Zustand der totalen Depersonalisierung lebt.
Der Rechtszustand in Algerien? Eine systematische Entmenschlichung. Herr Minister, die aktuellen Geschehnisse, die Algerien mit Blut besudeln, bilden in den Augen der Beobachter keinen Skandal. Es ist kein Unglücksfall und kein Zusammenbruch des Systems. Die Geschehnisse in Algerien sind die logische Folge eines missglückten Versuchs einem Volk das Gehirn zu entfernen.
Meine Entscheidung ist es, nicht mehr um jeden Preis Verantwortung zu tragen, unter dem verlogenen Vorwand, es gebe keinen anderen Weg."
(in: Pour la révolution africaine, pp. 50‑53)

Der auslösende Schock für FF war die Vorgangsweise der Administration gegen die streikenden Arbeiter vom 5. Juli 1956.

Dem Rücktritt als ärztlicher Leiter folgte eine Ausweisung FFs aus Algerien im Jänner 1957. Schon vor der Arbeitsniederlegung hatte FF Kontakt mit der Widerstandsbewegung aufgenommen und ihr als Arzt Unterstützung zukommen lassen.
Über Frankreich ging er 1957 nach Tunis und begann dort an der Universität zu unterrichten. Unter französischem Druck untersagte ihm die tunesische Regierung 1959 weiter zu unterrichten.
Zwischen 1957 und 1959 arbeitet FF auch in medizinischen Zentren der algerischen Befreiungsbewegung FLN entlang der tunesischen. und marokkanischen Grenzen zu Algerien. Die Beobachtungen aus seiner Arbeit bildeten die Grundlage für sein Buch L'an V de la Révolution algérienne (Sociologie d'une révolution), das 1959 erschien und Beispiele aus seiner medizinischen Praxis finden sich auch in den "Verdammten dieser Erde".

International trat FF auf dem 1. und 2. Congrès International des écrivains et artistes Noirs (Paris 1956, Rom 1959) auf. 1958 reiste er als Delegierter zur Tagung der All African Peoples Conference nach Accra. 1960 nahm er an der zweiten internationalen Konferenz in Accra teil und bald darauf ernannte ihn die provisorische. algerische. Regierung zum Botschafter in Accra.

Zahlreiche Reisen in Westafrika verschlechtern seinen Gesundheitszustand. 1959 hatte er bereits schwere Verletzungen bei einem Unfall erlitten (sein Jeep war an der algerisch-marokkanischen Grenze auf eine Mine aufgefahren), der zahlreiche Rückenwirbel beschädigt hatte. Nun stellte man Leukämie fest.
Es folgte ein Behandlung in der Sowjetunion, die Rückkehr nach Tunis und schliesslich flog er - vom CIA begleitet und überwacht - zu einer Behandlung nach den USA, wo er am 6. Dezember 1961, wenige Tage nach der Veröffentlichung seines letzten Buches "Les damnées de la terre" starb.
Er hinterliess seine Frau, die sich weiter für die FLN einsetzte und einen 6-jährigen Sohn Olivier.

 

Bedeutung PFs für Gegner und Anhänger

Was FF für seine Gegner bedeutete, zeigen die Versuche ihn zum Schweigen zu bringen - wie etwa ein Bombenanschlag auf sein Auto in Rom 1959.
Seinem Biographen Peter Geismar begegnete man offiziellerseits mit völliger Ablehnung, als er, bereits Jahre nach dem Tod FFs, auf der Suche nach Material den Geburtsort FFs aufsuchte. Zumindest in den letzten Lebensjahren war er ein aufmerksam beobachtetes Ziel westlicher und östlicher Geheimdienste gewesen. Seine Reisen in Westafrika gingen teilweise unter strengen Sicherheits- und Geheimhaltungsmassnahmen vor sich.
Als sich für den schwerkranken die Behandlung in Moskau als ergebnislos erwies, wurde die letzte Reise in die USA vorbereitet, wobei Fanon von einem eigenen Agenten des CIA, Ollie Iselin, begleitet wurde.
Aus der Sicht von Irene Gendzier erscheint die Beziehung Fanons zu den Amerikanern problematischer als man glauben könnte. Die USA standen Anfang der 60er Jahre angesichts der bevorstehenden Unabhängigkeit Algeriens sicherlich nicht auf Seiten der Franzosen. Die algerische Regierung anderseits riegelte noch um 1970 den Ort wenige km von der tunesischen Grenze, wo man Fanon begraben hatte, ab, mit dem Argument, die Gegend sei vermint.

Der Arzt, Journalist, Theoretiker und Politiker FF ist, obwohl seiner Herkunft nach nicht Afrikaner, eine der bedeutendsten Persönlichkeiten des Kampfes um die Unabhängigkeit Algeriens und der afrikanischen Staaten insgesamt.
Aimée Cesaire schrieb in einem Nachruf (Présence Africaine 40, 1962:119ff):
"Wenn das Wort Engagement eine Bedeutung hat, dann für FF. Man sagte ihm eine Neigung zur Gewalt nach. Tatsächlich machte FF sich einen Namen als Theoretiker der Gewalt, der einzigen Waffe des Kolonisierten gegen die kolonialistische Barbarei.
Aber seine Gewalt war, ohne paradox erscheinen zu wollen, die des Gewaltlosen, die Gewalt des Rechts, der Lauterkeit, der Aufrichtigkeit.
Sein Aufbegehren war ethisch, seine Haltung grosszügig. Er war kein Parteigänger. Er widmete sich der Sache aus vollem Herzen. ...
Es genügte ihm nicht, sich für die Sache des algerischen Volkes einzusetzen, sich mit ihm zu solidarisieren. Er wurde Algerier, lebte, kämpfte, starb als Algerier. ....
Das wichtigste Buch über den Kolonialismus, über die Folgen von Kolonisation und Rassismus für den Menschen, ist ein Buch von Fanon: "Peau noire, masques blancs". Das wichtigste Buch über die Entkolonisierung, ihre Aspekte und Probleme, ist ein Buch von Fanon: "Les damnées de la terre".
FF ist es, der uns daran hindert, die Augen zu schliessen und uns einzuschläfern unter dem sanften Schnurren des guten Gewissens. ... Fanon war ein Denker und ein Aktionist. ... Fanon hat bis zum letzten seiner Bestimmung gelebt, ein Vorkampfer der Freiheit zu sein. ... Seine Tragik war, dass dieser Sohn der Antillen keinen vergleichbaren unter seinen Kompatrioten gefunden hat und unter den seinen ein Einzelgänger war. ..."

 

Peau noire, Masques blancs

Die zentralen Themen des Textes sind Sprache, Sexualität, Rassismus, Internalisierung einer vermeintlichen Minderwertigkeit und Kampf als Mittel der Befreiung von einer Enteignung des Selbst im Spannungsfeld von „weisser und schwarzer Haut“.

In Peau noire, masques blancs beschreibt FF den menschlichen Aspekt der Kolonisierung. Objekt seiner Untersuchung ist der schwarze Intellektuelle bzw. jener Teil der kolonisierten Bevölkerung, der mit den Kolonisatoren in längerem, engen Kontakt gestanden ist. Er beschränkt sich weitgehend auf Erfahrungen von Leuten der Antillen, analysiert also zuerst einmal seine eigene Situation.
FF konstatiert die Existenz zweier Lager, eines schwarzen und eines weissen Menschen, deren Beziehung zueinander, deren Existenz als Individuen und Sozialwesen als Folge des Kolonialismus stark durch krankhafte Züge geprägt ist. "Wir haben nicht mehr oder weniger vor als den farbigen Menschen von sich selbst zu befreien" (p. 6) Die beiden Lager zeigen gleichermassen krankhafte Züge. „Für mich sind (die Weissen), die die Neger idealisieren genauso krank wie die, die sie verachten. Anderseits ist der Schwarze, der seine Rasse weiss machen will ebenso verderblich wie der, der Weissenhass predigt." (p. 8)
Beide sind eingesperrt in ihrem jeweiligen Gegenüber "blancheur/noiceur". Die Weissen glauben sich den Schwarzen überlegen, die Schwarzen wollen den Weissen um jeden Preis zeigen, wie reich ihr Denken, wie stark ihre geistige Kapazität ist. Ursache und treibendes Moment für krankhafte Zustande und Prozesse ist einerseits ein massives Unterlegenheitsgefühl, anderseits eine nicht verkraftete Rolle als Dominator.
Sprache und Sprachverwendung sind ein Aspekt, an dem die Beziehung dokumentiert wird. "Der Schwarze von den Antillen wird umso weisser sein, das heisst umso näher dem wahren Menschen, desto 
besser er sich die französische Sprache aneignet." (p. 16) Sprache, Sprechverhalten, Kommunikationsformen werden deshalb dem Beispiel der Metropole angepasst. Die Verwendung des Creole wird geächtet oder gar verboten. "In Frankreich sagt man, sprechen wie ein Buch. Auf Martinique: Sprechen wie ein Weisser." (p. 18) Von der Feststellung eines Unterschieds in der Sprache ist ein kleiner Schritt bis zur Feststellung eines Unterschieds im Denken. Der Mythos von der intellektuellen Minderwertigkeit des Negers ist geboren und setzt sich gleichermassen im Gehirn des Weissen wie des Schwarzen fest. Die betroffenen Kolonisierten setzen nun alles daran, diesem Makel zu entgehen. Sie entfernen sich von ihrer Ausgangsgesellschaft, werden zu Verfremdeten, Andersartigen, aliénés. In seiner Sucht es dem Weissen gleichzutun, "blanchir", differenziert sich der Antillais vom, als rückständig klassifizierten Senegalesen, aber auch vom Guyanais. Auf der anderen Seite versucht er im Sprechen und Verhalten den Weissen in der als typisch verstandenen Art noch zu übertreffen.
Der Weisse setzt sein "petit-negre" ein, um den Schwarzen zu distanzieren und zu demütigen, mag es auch manches Mal als Versuch deklariert werden, dem Angesprochenen die Kommunikation zu erleichtern.
"Ja, vom Schwarzen verlangt man, bon negro zu sein. Steht das fest, kommt der Rest von alleine. Ihn petit-negre sprechen zu machen, heisst ihn in einem bestimmten Stereotyp fixieren, fangen, einsperren, zu einem ewigen Gefangenen eines Seins, eines Erscheinungsbildes machen, für das er nichts kann. Und natürlich, wie ein Jude verdächtig erscheint, der Geld ausgibt ohne es zu zählen, muss der Schwarze überwacht werden, der Montesquieu zitiert; überwachen, denn mit ihm zeichnet sich der Beginn von etwas neuem ab. Sicherlich, ich behaupte nicht, der schwarze Student wäre seinen Kameraden oder Professoren verdächtig. Aber ausserhalb des Universitätsmilieus gibt es eine Armee von Schwachsinnigen: es hat keinen Wert, diese zu erziehen, aber es gilt den Schwarzen dahin zu bringen, dass er nicht mehr auf ihre Typologie hereinfällt." (p. 29)
Ein weiterer Aspekt - die Beziehung zwischen Mann und Frau. FF benützt die Autobiographie einer Martiniquaise, um die Relation einer farbigen Frau zu einem Weissen zu beschreiben. Die Frau akzeptiert jede Bedingung, stellt keine Ansprüche, unterwirft sich bedingungslos ihrem weissen Gatten und Herrn, nur um den Preis einer Angleichung an die weisse Gruppe. "Car enfin il faut blanchir la race. Das wissen alle Frauen auf Martinique, sie sagen es, sie wiederholen es: ‘blanchir la race, sauvers la race’, aber ‘retten’ nicht wie man vermuten konnte, in der Bewahrung jenes Teils der Bevölkerung, in dem man aufgewachsen ist, sondern indem man sie weiss erhält." (p. 40)
Der Gegensatz "schwarz-weiss" dominiert die Partnerbeziehung. Freilich hat diese Einteilung auch eine starke ökonomische Basis, und das kreolische Bürgertum gilt aufgrund der erworbenen wirtschaftlichen Position nicht weniger als weiss als die eingewanderten Europäer auf Martinique.
Für den Schwarzen existiert so nur ein einziger Ausgang - in Richtung auf die Welt des Weissen.
Beispiele dafür finden sich zur Genüge in der Literatur, doch auch die psychiatrische Praxis ist voll davon. "Der Neger, Sklave seiner Inferiorität, der Weisse, Sklave seiner Superiorität, zeigen beide neurotische Verhaltensformen." (p. 50)
Für den farbigen Mann scheint die einzige Lösung des Zwangs "weiss zu werden" die Verbindung mit einer weissen Frau. René Marans autobiographischer Roman, Un homme pareil aux autres bietet FF einen idealen Ausgangspunkt für die Analyse eines enkulturierten Antillais, der die Aufgabe seiner eigenen Identität und die Bestätigung einer neuen Existenz durch die Geliebte sucht, in einer sich und die anderen immer wieder peinigender Weise sucht. "Jean Veneuse ist ein Neurotiker, und seine Hautfarbe ist nur ein Versuch zu erklären, wie es um seine psychische Struktur steht. Hätte diese objektive Differenz nicht bestanden, er hätte sie mit allen Mitteln konstruiert." (p. 65)
Die zwanghafte Suche nach einer anderen Identität treibt den Mann dazu, immer wieder Bestätigung und Zustimmung bei (weissen) Freunden zu suchen, immer wieder die Geliebte, die ihn vorbehaltlos akzeptiert hat, aufs Neue um Zustimmung zu bitten. Das Misstrauen seiner Umwelt und sich selbst gegenüber, die Sucht "ein anderer" zu sein, treibt ihn immer stärker in die Isolierung und zerstört ihn als Persönlichkeit.
Wesentlich scheint, dass dieser Komplex des Kolonisierten gegenüber dem Kolonisator eng mit dem Faktor der Kolonisierung verbunden ist, nicht, wie es manche Autoren des Rassismus glauben machen wollten, einem bereits vorher existierenden Zug der unterworfenen Gesellschaft, einer Bereitwilligkeit zur Unterwerfung entspricht. Kolonialer Rassismus unterscheidet sich in nichts von anderen Spielarten des Rassismus. "Herabwürdigung ist ein einheimisches Korrelat der europäischen Überschätzung. Haben wir den Mut zu sagen: Es ist der Rassist, der den Untermenschen schafft. In dieser Schlussfolgerung treffen wir uns mit Sartre, der sagt: Jude ist ein Mensch, den die anderen zu einem Juden machen. Das also ist die einfache Wahrheit: Der Antisemit schafft den Juden" (p. 77)
Das Bewusstsein des Andersseins, des So-seins, des Neger-seins erwächst aus der erlebten Erfahrung des Schwarzen. Das Gefühl der Inferiorität, des Aufbegehrens dagegen, das Auswegsuchen ist eine Folge dieser erlebten Erfahrung des Schwarzen.
In diesem Zusammenhang stellt FF zu Beginn des Abschnitts „Der Neger und die Psychopathologie'' fest, dass psychische Erkrankungen unter den üblichen Voraussetzungen aus den Familienmilieu oder der unmittelbaren Umgebung heraus entstehen. Das Gegenteilige passiert bei Farbigen - normale Kinder erkranken "bei der geringsten Berührung mit der weissen Welt" (p. 119).
Der Versuch kollektive Aggressivität abzuführen (kollektive Katharsis) lässt in der Gemeinschaft Spiele, Erzählungen, Stories entstehen, in denen der Andersartige eine stark negative Kennzeichnung aufweist (Tarzan, Indianer, der Böse etc.). Im Fall der weissen Gesellschaft spielt das Schwarze, der Neger, sehr häufig diese negative Rolle. Farbige (von den Antillen, aber auch generell aus der Kontaktgruppe) übernehmen bereits als Kinder diese weissen Bilder und identifizieren sich mit dem holden, dem weissen: "nach und nach kristallisiert sich beim jungen Antillaner eine Haltung, eine Denk- und Sehgewohnheit heraus, die durch und durch weiss ist. Wenn er in der Schule in weissen Büchern Geschichten von Wilden liest, denkt er immer an die Senegalesen. ... Als Schüler haben wir stundenlang über die angeblichen Sitten der senegalesischen Wilden diskutiert. Es lag in unseren Worten eine zumindest paradoxe Ahnungslosigkeit. Das rührt daher, dass der Antillaner sich nicht als Schwarzer denkt; er denkt sich als Antillaner. Der Neger lebt in Afrika. Subjektiv, intellektuell verhält sich der Antillaner wie ein Weisser. Er ist aber ein Neger. Das merkt er, sobald er in Europa ist." (pp. 122f) Im Augenblick dieser Konfrontation beginnt für den Farbigen die Inferiorisierung und alles was damit zusammenhängt. Das anerzogene Denkschema hat er mitgebracht. Die Erfahrung, dass er nicht auf der gleichen Seite wie der Weisse steht, macht er jetzt.

Auf Seiten der Weissen zeigen sich die durch den Kontakt schwarz-weiss hervorgerufenen krankhaften Zustände häufig in Form von Phobien. Der Mythos von der sexuellen Potenz des Wilden, der befürchteten/gewünschten Realisierung eines Akts brutaler Gewalt, ruft Angstzustände beim Kontakt mit Schwarzen hervor, aber auch Aggressivität.
"Wenn man die rassistische Situation psychoanalythisch verstehen will, eine Situation, die nicht global erfasst, sondern von einem besonderen Bewusstsein empfunden wird, muss man den sexuellen Phänomenen grosse Bedeutung beimessen. Beim Juden denkt man ans Geld und seine Ableger. Beim Neger an den Sex. ... Keinem Antisemiten käme es zum Beispiel in den Sinn, den Juden zu kastrieren. Man tötet oder sterilisiert ihn. Der Neger dagegen wird kastriert. ... im Juden sterilisiert, tötet man den Stamm. Jedes Mal wenn ein Jude verfolgt wird, verfolgt man in ihm die ganze Rasse. Den Neger aber trifft man in seiner Körperlichkeit. Man lyncht ihn als konkrete Person." (pp. 132ff)

Der Neger ist jedoch nicht nur Geschlecht, er verkörpert auch traditionsgemäss das Schlechte (gemeinsam mit dem Juden), das Schwarze.
Der intellektuelle Farbige sucht mit allen Mitteln eine Aufwertung, eine Anerkennung, die allerdings so lange unter Hintansetzung eines anderen "Negers" vor sich gehen wird, als das Bild des Negers, das der Kolonisator erzeugt hat, wirksam bleiben wird, bei beiden Gruppen.
FF sieht ‑ in seinem Abschnitt "der Neger und Hegel" ‑ nur in der Aktion, im Kampf des Betroffenen, einen Weg zur Befreiung. "Eines Tages hat der weisse Herr den Negersklaven kampflos anerkannt. Aber der frühere Sklave will machen, dass er anerkannt wird. ... Die Umwälzung hat den Schwarzen von aussen erreicht. Der Schwarze ist handeln gemacht worden. Werte, die nicht seinem Tun entsprachen, Werte, die nicht aus dem systolischen Andrang seines Blutes erwuchsen, haben begonnen um ihn herum einen bunten Reigen zu tanzen. Die Umwälzung hat den Neger nicht anders gemacht. Er ist von einer Lebensweise zu einer anderen übergegangen, nicht aber von einem Leben zum anderen. So wie ein Kranker, dem es besser geht, und der erfährt, dass er in wenigen Tagen die Anstalt verlassen darf, einen Rückfall haben kann, so ist es bei der Neuigkeit von der Befreiung der schwarzen Sklaven zu Psychosen und plötzlichen Todesfällen gekommen. ... Der Schwarze hat sich damit begnügt, dem Weissen zu danken. ... Aber der Neger kennt den Preis der Freiheit nicht, denn er hat nicht um sie gekämpft." (p. 180f)

 

 

Les damnés de la terre: Kolonialkrieg und physische Störungen, Kolonisation, Dekolonisation und Gewalt, Institutionen

In den Jahren in Algerien und im Maquis wandelte sich die Persönlichkeit und veränderten sich die Schwerpunkte FFs. Er wurde Algerier, Afrikaner in weiteren Sinn, und liess den evoluierten Martiniquais zurück, ebenso wie er sein Interesse vom Schicksal des Einzelnen, von der Demütigung und der Suche nach einem neuen Gleichgewicht, das dem entwurzelten Intellektuellen am ehesten widerfährt weg auf eine Geschichtete der Massen lenkte. Der Einzelne existiert weiter, aber als Glied eines Ganzen. Repression und Revolution in ihrer Konkretisierung, nicht das Widerspiegeln in der Auffassung der Menschen ist Gegenstand seiner Artikel, die in L'an V de la Révolution algérienne und in Pour la révolution africaine abgedruckt sind.
Die Sprache ist nüchterner. Der Blickwinkel nicht der des Psychiaters, sondern der des aktiven Revolutionärs, des Soziologen, Politikers, Journalisten. Die Revolution verändert die Gesellschaft; Fanon schreibt über den Schleier, den die algerische Frau im Zuge der Emanzipation beseitigt, und der wiederkehrt als Mittel des Kampfes, denn hinter den weiten Kleidern und Schleiern können sich Bomben verbergen; der Kolonisator setzt dagegen Metalldetektoren. 
Das Radio, Voix de l’Algérie, als wichtiges Element im antikolonialen Kampf. „Einen Radioapparat zu haben, das heisst seinen Teil der Nation zu entrichten, den Eintritt zu bezahlen in die Volksgemeinschaft, die sih zum Kampf zusammenschliesst.“ (Sociologie, p. 68) In diesem Zusammenhang verliert auch die französische Sprache den negativen Aspekt, wird zum Instrument, das die Wahrheit im Dienste der kämpfenden Nation verbreitet. Die verschiedenen sozialen Gruppen und der antikoloniale Kampf: besonders heftig verfolgten Polizei und Armee Frankreichs Franzosen, die sich auf die Seite der Revolution stellten. Sie wurden auch noch nach der Unabhängigkeit Algeriens zum Ziel von Anschlägen, wie etwa Henri Curiel.

In seinem letzten Buch, Les damnés de la terre fand FF wieder zurück zu einer literarisch komplizierteren Sprache, zu einer manchmal sehr breit angelegten Analyse menschlicher Beziehungen. Das Bucht ist gleichzeitig Diagnose und Manifest. Es ist die Diagnose einer spätkolonialen kranken Welt und ein Aufruf an die Kolonisierten, sich selbst zu befreien.

Die Erfahrungen, nicht zuletzt des Aufenthaltes in Ghana, das zu dieser seit bereits vier Jahre unabhängig war, und die Teilnahme am Unabhängigkeitskampf Algeriens relativierten Manches und liessen es, konkreter formulierbar werden im Vergleich zu früher - dennoch überwiegt der emotionale Charakter der Sprache. Die Wirkung auf den Leser ist primär im unreflektierten, gefühlsorientierten Bereich spürbar. Dem systematischen rationalen Leser, der mit methodischer Akribie an den Text geht, bleibt wenig in den Händen. Daher kam die Frustration seiner Kritiker aus dem linken Lager, die vergeblich nach einer geordneten Anwendung einer Methode, nach einer stringent-wissenschaftlichen Durchführung eines marxistischen Modells suchten. Die Kritik des konservativen Lesers - wo überhaupt - blieb in der Regel an oberflächlichen Formulierungen hängen und erschöpfte sich in pauschalen Vorwürfen. Nicht zuletzt die allmähliche Fanonrezeption im deutschen Sprachraum zeigte, dass FF in der allgemeinen Vorstellung der Öffentlichkeit, ähnlich wie ein Cabral oder Nyerere, zum bereits harmlosen Sprecher einer abgeschlossenen Epoche geworden war, deren Probleme in der Gegenwart als nicht mehr bedrohlich angesehen wurde bzw. als Probleme, gegen deren Wirkung man sich genügend abgesichert glaubte.

Noch kurz vor seiner Abreise nach den USA war es FF gelungen, Sartre zu einem Vorwort für die Ausgabe der Damnés zu bewegen. An das Vorwort schliessen 5 Kapitel verschiedenen Aufbaus - eines davon sein Beitrag zum 2. Kongress der schwarzen Schriftsteller in Rom 1959. Das 5. Kapitel, „Kolonialkrieg und psychische Störungen“, setzt in sehr konkreter Weise die Überlegungen aus Peau noire fort, wobei FF ausgehend von einigen Krankengeschichten zeigt, wie der Befreiungskrieg psychische Störungen bei Angehörigen beider kriegführender Gruppen auslöst. Polizeimassnahmen, Kriegs- oder Terrorhandlungen, Folterungen etc. die Patienten durchführten oder erduldeten sind der auslösenden Elemente für neurotische Störungen.
Bei einem 37-jährigen Bauern etwa, der eine Massenerschiessung überlebte, entwickelte sich ein ungezielter Tötungszwang ("Im Leben muss man töten um nicht getötet zu werden Es gibt Franzosen unter uns. Sie verkleiden sich als Araber. Man muss sie alle töten "). Ein 28jähriger französischer Polizist litt unter Depressionen, als Folge der Folterungen, die er durchführen musste. Er hörte nachts Schreie, schloss alle Fensterläden und verstopfte die Ritzen, steckte Watte in die Ohren, drehte mitten in der Nacht das Radio auf, nur um die Schreie zu übertönen. „Aber sie brüllen zu sehr. Anfangs machte mir das Spass. Aber dann fing es an mir durch Mark und Bein zu gehen. Heute brauche ich nur einen schreien zu hören, und ich kann ihnen genau sagen, wie weit er ist, in welchem Stadium des Verhörs man mit ihm ist. Ein Kerl, der zwei Faustschläge und einen Schlag mit dem Knüppel hinter die Ohren bekommen hat, hat eine ganz bestimmte Art zu reden, zu schreien, zu sagen, dass er unschuldig ist. Wenn man ihn zwei Stunden an den Knöcheln aufgehängt hat, hat er eine ganz andere Stimme. ... Wir haben gar kein Interesse daran sie zu töten. Was wir brauchen sind Informationen. Man muss sie erst zum Schreien bringen .. Jetzt höre ich ihre Schreie schon bei mir zuhause. Vor allem die Schreie von denen, die im Kommissariat gestorben sind " (p. 203)
Ein anderer Polizist prügelte seine Frau und seine Kinder, zwei algerische Buben ermordeten ihren europäischen Spielkameraden, ohne eine Erklärung für ihr Handeln geben zu können etc. (Zitat 1, pp. 207-209)
Aus den einzelnen Krankheitsbildern wird allmählich eine Darstellung der anderen Seite des Kampfes, die beide einander bekämpfenden Gruppen samt der unbeteiligten - wenn es so etwas gibt - Zivilbevölkerung als zunehmend zerstörte soziale Gruppen bzw. Menge von Einzelwesen sehen lässt. Eine Lösung der Probleme sieht FF folgendermassen: "Man muss nicht nur für die Freiheit seines Volkes kämpfen. Man muss auch während der ganzen Zeit, die der Kampf dauert, diesem Volk und zunächst sich selbst die Dimension des Menschen wieder erschliessen. Man muss die Wege der Geschichte zurückgehen, der Geschichte des von den Menschen verdammten Menschen, und die Begegnung seines Volkes mit den anderen Menschen möglich machen. / Der Militant erkennt sehr oft, dass er nicht nur auf die feindlichen Kräfte Jagd machen muss, sondern auf die Kristallisationskerne der Verzweiflung im Körper des Kolonisierten." (p. 226)
"Das Ziel des kämpfenden Kolonisierten ist das Ende der Fremdherrschaft. Aber er muss auch auf die Ausrottung aller Nichtwahrheiten aus sein, die durch Unterdrückung in seinen Körper eingepflanzt wurden." (p. 238)

Am meisten Beachtung bei den Gegner FFs fand das erste Kapitel "Von der Gewalt" und in der Folge wurde sein Verfasser geradezu zum Apostel der Gewalt gestempelt. Dabei kam Fanon - nur etwas früher - zu keiner anderen Schlussfolgerung als etwa eine Theologie der Befreiung: Es gibt eine Art und ein Ausmass der Unterdrückung, die nur noch durch Gewaltanwendung zu überwinden ist. Es gibt einen Stand der Entwicklung sozio-ökonomischer Beziehungen, bei dem nur noch zwei Alternativen bleiben - vollständige Vernichtung oder gewaltsamer Widerstand.

FF geht von der Feststellung aus: "Dekolonisation ist immer ein Phänomen der Gewalt" (p. 27). Die koloniale Welt ist eine zweigeteilte, in der Kolonisierter und Kolonisator einander gegenüberstehen. Ihr Aufbau, ihr Funktionieren ist durch Gewaltanwendung gekennzeichnet.

Die Unterdrückung durch den Kolonialherrn schafft beim Kolonisierten Aggressivität, die sich zunächst gegen seinesgleichen entlädt. "Gegenüber der kolonialen Ordnung befindet sich der Kolonisierte in einem Zustand permanenter Spannung. Die Welt des Kolonialherrn ist eine feindliche Welt, die ihn zurückstösst, aber gleichzeitig ist sie eine Welt, die seinen Neid erregt. ... er träumt ... den Platz des Kolonialherrn einzunehmen." (p. 40) Die sich stauende Aggressivität wird einerseits in Bruderkämpfen ("Stammeskämpfe"), in einer Art kollektivem Selbstmord, anderseits in religiös-rituellen Bereichen, im Tanz, in der Mythologie abgeleitet. In dem Augenblick, in dem er die Realität seines Zustands entdeckt, fliesst die Aggressivität des Kolonisierten in den Befreiungskampf.
Auf Seiten der bürgerlich-nationalistischen Parteien, der intellektuellen und kaufmännischen Eliten und ihrem kleinbürgerlichen Anhängsel wird die Gewalt nur verbal realisiert. „Der kolonisierte Intellektuelle lässt seine Aggressivität dem kaum verhüllten Willen zugutekommen, sich der kolonialen Welt anzupassen. Er stellt seine Aggressivität in den Dienst seiner eigenen, seiner individuellen Interessen. So entsteht leicht eine Klasse von individuell bereiten Sklaven, von Freigelassenen." (p. 46)

"Die Massen wollen nicht den Status des Kolonialherrn, sondern seinen Platz“ (p. 47) Die bürgerlichen Eliten sehen sich von dieser Forderung ebenso bedroht wie die Kolonialherrn und tun alles um gegenüber dem Volk eine Aktion der "Gewaltlosigkeit" durchzusetzen. Sie werden so zu Komplizen der Metropole, der alles an einem reibungslosen Übergang von einem Zustand zum anderen liegt. Echte Dekolonisierung heisst für FF aus der zweigeteilten Welt wieder eine einfache zu machen, indem der koloniale Teil völlig ausgelöscht, beseitigt wird. Die Variante der Metropole in Zusammenarbeit mit den bürgerlichen Eliten lässt eine zweigeteilte Welt bestehen, wobei nur die Eliten von einem Lager ins andere überwechseln.
FF erwartet nun, dass die überlistete, kanalisierte Gewalt der Masse der Kolonisierten ziert sich nicht zügeln lasst, durch Repression eskaliert und elementar ausbricht. Wie aus einem reinigenden Feuer soll die endkolonisierte Gesellschaft aus dem Befreiungskampf hervorgehen, der alles zerstört oder umwandelt, was sich gegen die Massen richtet. "Die Gewalt des Kolonisierten vereinigt das Volk. Der Kolonialismus ist, seiner Struktur nach, separatistisch und regionalistisch. Er begnügt sich damit die Existenz von Stämmen festzustellen, er verstärkt ihre Zwietracht, er entzweit sie. ... Die Gewalt hingegen wirkt totalisierend und national. Deshalb schliesst sie die Auflösung des Regionalismus und der Stammesverbände ein." (p. 72) "Auf der individuellen Ebene wirkt die Gewalt entgiftend. Sie befreit den Kolonisierten von seinem Minderwertigkeitskomplex, von seinen kontemplativen und verzweifelten Haltungen. Sie macht ihn furchtlos, rehabilitiert ihn in seinen Augen." (p.721)

In einem weiteren Kapitel untersucht FF die Rolle der nationalen Parteien bzw. Gewerkschaften in der Entkolonisierung und im Aufbau des neuen Staates. Beide Institutionen sind der kolonisierten Gesellschaft fremd. "Der grosse Irrtum, der Geburtsfehler der Geburtsfehler der Mehrheit der politischen Parteien in den unterentwickelten Gebieten lag darin, dass sie sich nach dem klassischen Schema vorrangig an die bewusstesten Elemente wendeten: an das Proletariat der Städte, die Handwerker und die Beamten, das heisst an einem winzigen Teil der Bevölkerung, der kaum mehr als ein Prozent ausmacht. (p 85) Die neuen Eliten brauchen ebenso wie die Kolonisatoren das „embryonale Proletariat“ der Städte, das allein ihnen das Funktionieren des Staates und der Wirtschaft garantieren kann. Die Bauern hingegen müssen kontrolliert, gelenkt und in ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit angetrieben werden. „Die nationalistischen Parteien hegen in ihrer überwiegenden Mehrheit grosses Misstrauen gegenüber der ländlichen Masse." (85)

Die Parteiführung, die jungen, bürgerlichen, prowestlichen und modernistischen Eliten kommen rasch in Gegensatz zu den traditionellen politischen Führern und erregen das Misstrauen der ländlichen Bevölkerung. Wo die ländlichen Massen gegen die Kolonialmacht, oft in spontanen Aufständen, losschlagen, distanzieren sie sich und überlassen den Bauern der brutalen Depression durch die Kolonialmacht. „Deshalb finden wir im Moment der Unabhängigkeit, die nach der Unterdrückung der ländlichen Massen und der Übereinkunft zwischen dem Kolonialismus und den nationalistischen Parteien gekommen ist, dieses Unverständnis noch verstärkt. Die Landbewohner verhalten sich ablehnend gegenüber den von der Regierang vorgeschlagenen Strukturre­formen wie gegenüber den sozialen Neuerungen, selbst den objektiv progressiven, eben weil die Verantwortlichen des gegenwärtigen Regimes während der Kolonialperiode nicht dem ganzen Volk die Ziele der Partei die nationale Orientierung, die internationalen Probleme usw. erklärt haben." (p. 91)
Ähnliches passiert mit den Gewerkschaften, die nach der Unabhängigkeit zu Vertretern einer relativ bevorzugten Minderheit werden (siehe Arbeiter in Algerien) und nichts mit der bäuerlichen Bevölkerung anfangen können. In der meist unvermeidbaren Auseinandersetzungen der beiden stärksten Kräfte, der Partei und der Gewerkschaft, bleibt die Masse der Bevölkerung somit unbeteiligt. Der Kampf um die Macht bleibt ein Kampf innerhalb einer Minderheit im Lande. Einmal etabliert zeigt sich Zudem innerhalb der Partei eine Tendenz zur Spaltung in jene Gruppe, die dominiert und an der Konservierung der Positionen interessiert ist, und den Mitgliedern und Ladern am der Basis, die die Unzulänglichkeit des neuen Systems erkennen und Veränderungen in Partei und Staat anstreben.
Wohl aus dem Beispiel des Kampfes der UPC in Kamerun heraus nimmt FF an, diese neue Opposition würde ihren Rückhalt und ihre Unterstützung in den ländlichen Massen finden (vgl. Mongo Beti u.a.) "Das Volk aber lasst sich in seinen Hütten und in seinen Träumen von dem neuen nationalen Rhythmus anstecken. Leise singt es in seinem Herzen den ruhmreichen Kämpfern endlose Hymnen. Der Aufstand hat schon die ganze Nation ergriffen. Jetzt sind die Parteien isoliert." (pp. 99) (Das Beispiel der UPC, ihre Aufsplitterung und ihr Ende 1970 zeigt, dass FF einer Utopie nachhing.
Fanon lässt sich in der Darstellung der Folgen des ausbrechenden Aufstandes gegen den Kolonialismus und seine bürgerlich/kleinbürgerlichen Handlanger, bzw. Erben zu einer Apotheose der Massenbewegung, des Befreiungskampfes hinreissen. Sein Optimismus, aufbauend auf seiner Erfahrung aus der algerischen Revolution, seinen Informationen über den Befreiungskampf in Vietnam, Kenya. Angola etc. wurde durch den Gang der Geschichte furchtbar ernüchternd korrigiert. Weder auf kollektiver noch auf individueller Ebene trat ein, was er sich erhofft hatte. Vielmehr setzte sich die neokoloniale Losung, eine Fortdauer der zweigeteilten Welt, sogar in jenen Ländern durch, von denen man sich eine fortschrittliche Politik erhofft hatte. Auch die Gewalt der Dekolonisierungsphase brachte keine Einheit in den afrikanischen Ländern.

Es kam mit und ohne Revolution, was FF im Grunde vorausgesehen hatte:
"Ohne diesen Kampf, ohne diese Erkenntnis in der Praxis ist alles nur Karneval und Tralala: Ein Minimum an Neuordnungen, ein paar Reformen an der Spitze, eine Nationalflagge und ganz unten die unteilbare, immer noch "mittelalterliche" Masse, die in ihrer dumpfen Bewegung verharrte." (113)

Sein fundamentaler Irrtum in Hinblick auf den Gang der Geschichte soll aber nicht verdecken, mit welcher Genauigkeit FF manche Protagonisten des Kampfes beschrieben hat: die nationale Bourgeoisie, das Beamtentum, die Partei. In seiner Analyse progressiver Führer und in der Darstellung der Kassen hat er sich jedoch gründlich getäuscht.